Nachrufe ohne Vorsätze

Ottmar Schreiner blieb sich bis zu seinem Tode treu - die SPD-Spitze leider auch

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem Tod des SPD-Bundestagsabgeordneten Ottmar Schreiner haben viele Politiker - und zwar parteiübergreifend - dessen Engagement für soziale Gerechtigkeit gewürdigt. Insbesondere in seiner Partei aber vergaßen Spitzengenossen, wie oft sie ihn dabei allein gelassen hatten.

Es ist nur wenige Wochen her, da hat die SPD-Fraktion die Agenda 2010 zu ihrem Zehnjährigen mit ein paar Einschränkungen im Großen und Ganzen heftigst gefeiert. Und nicht nur das - Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der sie einst auf den Weg gebracht hatte, damit Hunderttausende Sozialdemokraten aus der Partei trieb, Wahl um Wahl in den Ländern und 2005 im Bund verlor, nahm höchstselbst die Huldigungen der Genossen entgegen. Für Ottmar Schreiner, der sich von Anfang an gegen Schröders unsoziale Politik gestellt hatte, dafür wahlweise beschimpft oder belächelt worden war und nicht zuletzt sein Amt als Bundesgeschäftsführer verlor, muss das der reinste Hohn gewesen sein. Oder eine Enttäuschung mehr. Denn immer wieder - und auch im nd-Interview - hatte er in diesem Jahrzehnt von seiner Hoffnung gesprochen: »Ich bin einigermaßen optimistisch, dass es zu nachhaltigen Korrekturen kommen wird.« Doch seine SPD kann sich immer noch nicht dazu aufraffen.

Schreiner hat die innere wie äußere Einkehr der Genossen nicht mehr erleben dürfen. Stattdessen finden viele von ihnen in diesen Tagen anerkennende Worte. »Ottmar Schreiner war ein aufrechter Sozialdemokrat, der mit Geduld, Zähigkeit, messerscharfem Verstand, großem Herz und vor allem mit nie nachlassender Leidenschaft für Gerechtigkeit und sozialdemokratische Werte gestritten hat. Sein Tod hinterlässt eine große Lücke in der sozialdemokratischen Familie«, hatte beispielsweise SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erklärt - ohne einen Bezug zu der Dauerauseinandersetzung zwischen Parteiführung und dem langjährigen Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen wegen der Agenda-Politik und der Rente mit 67 herzustellen. Immerhin vergaß Steinmeier nicht anzumerken, dass Schreiner die Sache immer wichtiger gewesen sei als die politische Karriere - was zumindest als versteckter Hinweis auf den Konflikt gelten kann.

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel - der anders als Steinmeier nicht als einer der Väter der Agenda 2010 einzuordnen ist, aber offensichtlich mit dem unliebsamen Erbe durchaus leben kann -, würdigte vor allem die Treue des Verstorbenen. »Ottmar Schreiner war ein leidenschaftlicher und engagierter Linker, aber bis zu seinem Lebensende überzeugter und geradliniger Sozialdemokrat«, erklärte er am Sonntag. Das zielt freilich auf die immer mal wieder aufgeflammten Gerüchte, der Saarländer könnte seinem einstigen Parteifreund und Landsmann Oskar Lafontaine nachfolgen und die SPD in Richtung Linkspartei verlassen. Parteiwechsel aber war Schreiner nie eine Option - der Freundschaft zum einstigen saarländischen Ministerpräsidenten tat dies indes im Unterschied zu den meisten SPD-Funktionären keinen Abbruch. Auch wenn ihm das zuweilen Misstrauen oder Spott als »letzter Lafontainist« einbrachte.

Derlei hat der Jurist und Fallschirmjäger immer scheinbar leichter weggesteckt als die Entwicklung seiner Partei weg von den Grundwerten, deretwegen er 1969 eingetreten war. »Wir müssen erkennbar bleiben«, hatte er ein ums andere Mal die Genossen beschworen - und sich schließlich als einer der ganz wenigen gegen den Schröder-Kurs gestellt. Dass der damalige Parteivorsitzende Franz Müntefering ihn deshalb als kleinkariert und feige bezeichnete, hat ihn aber denn doch erwischt. Im nd-Interview gab der sich häufig als Raubein gebende Schreiner zu Protokoll: »Es tut natürlich sehr weh, als Feigling dargestellt zu werden - in einer Situation, in der massiver Druck ausgeübt und eine Menge Stehvermögen gebraucht wird, um durchhalten zu können.«

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