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»Wir haben einen Kurswechsel vollzogen«

Berlins SPD-Landeschef Jan Stöß fordert eine Vermögensabgabe im Wahlprogramm und will Präzisierungen bei der Mietenpolitik

  • Lesedauer: 4 Min.
Jan Stöß ist seit rund einem Jahr Vorsitzender des Berliner SPD-Landesverbands. Über das Wahlprogramm der Sozialdemokraten, das auf dem Bundesparteitag an diesem Sonntag in Augsburg verabschiedet werden soll, sprach mit dem Parteilinken nd-Redakteur Aert van Riel.

nd: Am Sonntag wird der SPD-Parteitag in Augsburg über das Wahlprogramm entscheiden. Sind Sie zufrieden mit dem Entwurf?
Stöß: Ich bin mit dem Entwurf sehr zufrieden. Er stellt einen Kurswechsel im Vergleich zu den vergangenen Jahren dar und macht den Charakter der SPD als linke Volkspartei deutlich, vor allen Dingen bei den veränderten Beschlüssen zur Steuerpolitik, zur Arbeitsmarktpolitik und zur Rente.

Sie haben das Thema Mieten nicht genannt, das auch für Berlin eine wichtige Rolle spielt. Muss hier nachgebessert werden?
Sie haben recht: Bezahlbare Mieten sind ein besonders wichtiges Thema für uns. Wir haben mit den Vorschlägen, die Peer Steinbrück gemacht hat zur Mietenbremse, die auch bei Neuvermietungen gelten soll, zum ersten Mal nach 20 Jahren jemanden, der auf Bundesebene dieses Thema prominent anspricht. Das ist ein großer Fortschritt.

Aber Sie wünschen sich noch Präzisierungen im Programm?
Die Mietenbremse wird im Wahlkampf noch mit konkreten Zahlen unterlegt werden. Dass es eine Begrenzung von zehn Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete geben soll, sollten wir ausdrücklich klar machen.

Auch zur Vermögenssteuer, die den Ländern zugute kommen soll, gibt es im Entwurf keine klaren Vorstellungen. Muss die Steuer deutlicher gefordert werden?
Die Forderung nach der Vermögenssteuer sollte im Wahlkampf eine große Rolle spielen. Entscheidend ist, dass große private Vermögen an der Staatsfinanzierung wieder mehr beteiligt werden.

Der linke SPD-Flügel will, dass im Programm auch eine einmalige Vermögensabgabe in Europa festgeschrieben wird, die dem Bund zufließen würde. Sind Sie dafür?
Auch der Berliner Landesverband hat diese Forderung unterstützt. Ich glaube, die Diskussion um das verschuldete Zypern hat gezeigt, dass die Abgabe notwendig ist, damit es eine gerechte Lastenaufteilung gibt.

Wie bewerten Sie die innerparteiliche Debatte um das Programm? Sie hatten moniert, dass dafür nicht genug Zeit wäre.
Ich bin vom Ergebnis überzeugt. Das zählt. Jetzt bringt es nichts mehr, über das Verfahren zu reden. Berlin hat die Möglichkeit gehabt, eine Anzahl von Änderungsanträgen noch einzubringen.

Der Parteitag soll fünf Stunden dauern. Steinbrück wird eine Rede halten. Viel Zeit für inhaltliche Debatten wird wohl nicht bleiben.
Wenn es Initiativanträge gibt, wird darüber beraten. Es wird auch eine Generalaussprache geben. Darum mache ich mir keine Sorgen. Es ist auch schon breit über das Programm diskutiert worden. Wir haben in Berlin zum Beispiel ein großes Mitgliederforum mit über 400 Genossen gehabt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat kürzlich ein Aussetzen der Hartz-IV-Sanktionen, wie von den Grünen gefordert, oder deren Abschaffung, wie sie die LINKE will, strikt abgelehnt. Wie verträgt sich das mit dem von der SPD ausgerufenen Gerechtigkeitswahlkampf?
Im Bereich des Arbeitsmarkts haben wir einige Veränderungen vorgesehen. Das Thema Hartz stand zwar nicht im Mittelpunkt der Diskussion, die soziale Gerechtigkeit im Land bemisst sich aber nicht nur an der Höhe der Hartz-IV-Sätze.

Bei den Sanktionen geht es darum, dass diese Leistungen zusammengestrichen werden.
Das Aussetzen der Sanktionen steht nicht in unserem Programm. Ich glaube aber, dass wir uns in der Praxis darüber Gedanken machen müssen, wie man den Trend, dass die Häufigkeit der Sanktionen ständig zunimmt, stoppen kann.

Die SPD will ihre Agenda-Politik teilweise rückgängig machen, setzt aber auf alte Köpfe aus der Agenda-Zeit. Hat die Partei dadurch ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Wir legen nun ein Programm vor, das in vielen Punkten inhaltlich eine Veränderung im Vergleich zu den letzten zehn Jahren vorsieht. Es wird vom Parteivorsitzenden und vom Kanzlerkandidaten sehr selbstbewusst mitgetragen. Insofern sehe ich da kein Problem.

Was halten Sie davon, dass Steinbrück noch immer Altkanzler Gerhard Schröder als eines seiner politischen Vorbilder bezeichnet?
Gerhard Schröder hat mit der rot-grünen Regierung auch viele gesellschaftliche Fortschritte auf den Weg gebracht. Zum Beispiel den Atomausstieg, die eingetragene Lebenspartnerschaft und die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Natürlich gibt es aber auch Bereiche in der Sozialpolitik, die ich selber kritischer sehe, wo wir aber dazugelernt haben.

Wie soll die SPD ihre Inhalte umsetzen, wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte?
Wir kämpfen dafür, dass es eine rot-grüne Mehrheit gibt, das ist ganz klar.

Aber die Chancen dafür stehen laut Umfragen schlecht. Wenn es so bleibt, muss sich die SPD nach neuen Bündnispartnern umsehen.
Am schlechtesten für Deutschland wäre es, wenn Schwarz-Gelb weiter regiert. Deswegen müssen wir beide Teile dieser Murksregierung ablösen. Das muss unser Ziel sein. Der Wahlkampf hat ja auch noch gar nicht begonnen. Da hatte übrigens Gerhard Schröder wieder recht: Es kommt nicht drauf an, wer als Erster losläuft, sondern wer als Erster ankommt.

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