Prekäre Emanzipation

Weil die Löhne der Männer sinken, dürfen und müssen nun auch die Frauen ran

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine aktuelle Studie der Universität Bremen im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung konstatiert einen Wandel in der Arbeitswelt. Das klassische westdeutsche Ernährermodell mit einem Vater, dessen Einkommen für die ganze Familie reicht, hat ausgedient. Weil die Löhne ihrer Männer massiv unter Druck geraten sind, sind heute auch viele Frauen berufstätig.

»Samstags gehört Vati mir«, mit diesem Slogan warb der Deutsche Gewerkschaftsbund ab 1956 für die Einführung der Fünf-Tage-Woche. Die Bundesrepublik im Wirtschaftswunderrausch, die Männer in den Fabriken und die Frauen zu Hause. Damals war das westdeutsche Normalarbeitsverhältnis reine Männersache. In einem Land, in dem man Kinderkrippen für kommunistisches Teufelszeug hielt, hatten Frauen Heim und Herd zu hüten. Man konnte es sich leisten, schließlich verdiente Papa ja genug. Die Verbindung eines Normalarbeitsverhältnisses mit einem Ernährerlohn war die ökonomische Basis dieses Modells. In einer aktuellen Studie beschäftigten sich das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) und das Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) an der Universität Bremen mit der Frage, was aus diesem Modell geworden ist. Ist das Gehalt des Mannes noch der »Familienlohn«? »Nein, die Zeiten haben sich geändert«, so die Koautorin der Studie, Irene Dingeldey, gegenüber »nd«. »Das Einkommen der Männer reicht heute oft nicht mehr aus.« Um einen mittleren Lebensstandard zu halten, bedarf es mindestens eines weiteren Einkommens. Deshalb dürfen nun auch die Frauen ran.

Doch von einer tatsächlichen Emanzipation der Geschlechter sei man noch weit entfernt, so Dingeldey, die am Bremer Institut für Arbeit und Wirtschaft forscht. Sie spricht stattdessen von einem »modernisierten Ernährermodell«, in dem der Mann voll arbeitet und die Frau in Teilzeit. Tatsächlich sind in Deutschland beinahe 50 Prozent aller Frauen teilzeitbeschäftigt.

Auch weil es vor allem im Westen kaum Kindergartenplätze gibt, die Frauen eine Vollzeittätigkeit ermöglichen. »Faktisch brauchen voll berufstätige Eltern eine Kita, die ihr Kind zehn Stunden betreuen kann«, erklärt Dingeldey. Die Norm sind allerdings vier bis sechs Stunden. »Unter diesen Bedingungen bleibt nur die Teilzeitarbeit für einen Partner. Dass diese meist von den Frauen gewählt wird, liegt jedoch nicht nur in traditionellen Rollenbildern begründet, sondern auch in deren generell geringeren Einkommen«, so die Bremer Forscherin. Dingeldey spricht von »institutionellen Arrangements«, die eine endgültige Gleichberechtigung erschwerten. Neben der eingeschränkten Kinderbetreuung begünstige auch die Steuerpolitik das Ernährermodell, so die Politikwissenschaftlerin. So bringt etwa das Ehegattensplitting weiterhin finanzielle Vorteile gegenüber Ledigen, wenn die Frau gar nichts oder aber weniger verdiene, kritisiert Dingeldey.

In welche Richtung die Entwicklung derzeit geht, zeigt eine weitere Untersuchung des WSI. So geht Vollzeitarbeit unter 40 Stunden bei Frauen deutlich zurück: Der Anteil an abhängig beschäftigten Frauen, die wöchentlich 36 bis 39 Stunden arbeiten, habe sich seit 1991 halbiert, heißt es in einer Kurzanalyse des Instituts. Der Grund dafür sei die »die deutliche Zunahme der kurzen und der substanziellen Teilzeitarbeit unter abhängig beschäftigten Frauen«. Das heißt: In den letzten Jahren wurden viele Vollzeit- in Teilzeitstellen umgewandelt. Das »modernisierte Ernährermodell« ist also weiter auf dem Vormarsch.

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