DDR-Stücke am BE: Die Arbeiter des Paul Gratzik

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Seltsam fremdes Wesen inzwischen. Anwesend freilich noch immer im Betriebsrausch der Zeit, wirkend noch immer im Produktionsrauschen der Tage und Nächte - in denen entsteht, was wir verbrauchen, ohne genau zu bedenken, ob wir es auch wirklich brauchen. So wie der Mensch aus der Welt verschwand und besinnungslos aktiver Konsument wurde, so verschwand auch er aus dem Bewusstsein, aus der Kunst, und ist doch da: der Arbeiter.

Am Berliner Ensemble an verbotene und vergessene DDR-Dramatik zu erinnern, erweist sich bislang als kleinfeiner Versuch, just diese Werkzeuger der sozialistischen Mühe ins Licht zu holen, sich archäologisch zu betätigen auf dem Felde, wo Lust gewachsen war, Produktion, das Arbeiten mit den Händen als Abenteuer für den Kopf, als Reise in seelenverändernde Beziehungen zu be-greifen.

Diesmal am BE: eine Lesung von Paul Gratziks »Handbetrieb«, Szenen auf einem Kornfeld, 1976 im Sternfoyer der Berliner Volksbühne uraufgeführt. Eine Bohrbrigade. Aus Plage mit überaltertem Gerät wird trotziger Prämienschwindel. Im Gefahrenmoment, da alles auffliegen könnte, kommt auch alles Stückbestimmende hoch: Rebellionsenergie und Anpassungskraft, Arbeiterlist und Parteiwillkür, die Natur der Ehrlichkeit und die Kultur der Propaganda. Geld gegen Gewissen. Planlüge gegen Problembewusstsein. Dieses Stück Gratziks ist eine Grübelei, die zur Clownerie neigt. Eulenspiegel trifft Baal, und in des Dichters Sprache lagern erdklumpig etwas Matusche, etwas O'Casey, etwas Müller.

Diese BE-Reihe will nicht an Aufführungen erinnern, sie lädt sich nicht mit nachholender Auslegung auf, sie ist launige Textkonzentration und bekennt sich gleichsam zu ihrem Ort, dem Gartenhaus: Es ist, als ob man im Lauschigen säße - und eben lauschte. Mehr nicht, nicht weniger.

Die Einleitung gab wieder Dramaturg Hermann Wündrich, er begrüßte auch den Autor Paul Gratzik, und Manfred Karge verlas die Szenenüberschriften. Fünf Herren und zwei Damen des Ensembles lasen - wie immer in selbstironisch gefärbten Ansätzen, dieses Lesen in Spiel zu verwandeln. Der lange quere Tisch vor den Körpern und der Stuhl, auf dem man sitzt, verhindern solches, indes: Der Dreier-Brigade gaben Winfried Goos (pfiffig-leger), Ulrich Brandhoff (jungenhaft, vorwitzig sächselnd) und vor allem Georgios Tsivanoglou (ein proletarischer Falstaff) schöne Anflüge von szenischem Schmiss.

Im Mai wird »Moritz Tassow« von Peter Hacks gelesen. Jürgen Holtz spielte einst die Titelrolle in Benno Bessons rasch verbotener Inszenierung an der Volksbühne. Lange her. Holtz ist heute Mitglied - des erinnernden Berliner Ensembles. Das ist er, der Kreisverkehr von Mut zu Melancholie.

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