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Mehr als »frustrierte Wutbürger«

SPD-Analyse warnt vor Potenzen der »Alternative für Deutschland«

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Viereinhalb Monate vor der Bundestagswahl hält die Debatte über die Anfang 2013 gegründete Partei Alternative für Deutschland (AfD) an. Die neue Partei hat Zulauf.

Durch einen Anruf des Hessischen Rundfunks erfuhr der Landes- FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn vom Auftritt ihres bisherigen Abgeordneten Jochen Paulus als Überraschungsgast bei der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD). Auf deren hessischen Gründungstreffen verkündete der 43 Jahre alte Paulus seinen Wechsel zur neuen Protestpartei. Mit Paulus ist die AfD erstmals in einem Landtag vertreten. Der Rechtsanwalt war 2009 auf FDP-Listenplatz 21 nachgerückt. Auf der Landesliste für die kommende Wahl ist er nicht mehr vertreten.

Mit der Wiesbadener Steuerberaterin und Stadtverordneten Brigitte Pöpel ist ein weiteres prominentes Ex-FDP-Mitglied der AfD beigetreten. Zu den Gründungsmitgliedern des hessischen AfD-Landesverbands gehört neben dem früheren Leiter der Staatskanzlei, Alexander Gauland (CDU), auch der Unternehmensberater und Ex-Pirat Hans-Jörg Tangermann. Ob die AfD zur Landtagswahl antritt, ist noch offen. Auf jeden Fall registriert die Partei nach eigenen Angaben einen stetigen Zustrom und bundesweit 13 000 Mitglieder. Nach einer Umfrage des Instituts YouGov könnten sich 27 Prozent der Befragten vorstellen, AfD zu wählen, darunter rund ein Drittel derer, die 2009 für FDP oder LINKE gestimmt hätten.

»Die AfD ist sehr ernst zu nehmen«, heißt es in einem SPD-internen Konkurrenzbeobachtungspapier, das »nd« vorliegt. Die Partei bestehe aus »frustrierten Wutbürgern, die ihren Besitzstand gefährdet sehen« und könne das vorhandene Potenzial für eine »populistische« Partei in Deutschland ausfüllen, warnt das Papier. Dass dieses Potenzial bislang brach gelegen habe, liege am »Nazi- bzw. Rechtsradikalismus-Tabu der politischen Kultur«, der den Aufstieg solcher Initiativen bislang gebremst habe. Früheren Parteigründungsversuchen hätten zudem »charismatische und kompetente Führungspersonen« und eine »nachhaltige oder ausreichende« Themenbreite gefehlt.

Damit spielt das SPD-Papier auf Parteien im bürgerlichen, konservativen Lager an, die wieder in der Bedeutungslosigkeit versanken - so etwa die 1983 von abtrünnigen CSU-Abgeordneten gegründeten Republikaner, die Statt-Partei in den 1990er Jahren und die als Schill-Partei bezeichnete, 2007 aufgelöste Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO).

Das aktuelle Programm sei »zwar bescheiden, jedoch keineswegs eine Ein-Punkte-Veranstaltung«, befindet das SPD-Papier. Zudem seien die AfD-Strategen nach außen um eine »offensive Abgrenzung nach Rechts« bemüht und verwendeten den »Nimbus der professoralen Kompetenz«.

Im SPD-Papier unzureichend ausgeleuchtet ist indes die wachsende Angst der Mittelschichten vor den Folgen der kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich zunehmend auch als Euro-Krise manifestiert. So dürfte die jüngste Zypern-Krise auch bei besser situierten deutschen Lohnabhängigen das Gefühl geweckt haben, dass unbescholtene Kleinsparer für Bankenverluste zur Kasse gebeten werden.

Während frühere Parteigründer auf Rassismus und Law-and-Order-Sprüche setzten, die auf Dauer verblassten, könnten Wirtschaftskrise, Zuspruch aus der »Mitte der Gesellschaft« und Spenden von »mittelständischen« Unternehmern, die einen stabilen Euro nicht mehr für existenziell halten, der AfD durchaus Substanz und Auftrieb bringen. Als deren politisches Sprachrohr bieten sich die Wirtschaftsprofessoren der AfD an.

Dass die wirtschaftlichen Eliten längst nicht mehr uneingeschränkt Angela Merkels Euro-Kurs tragen und sich eine tiefe Spaltung im bürgerlichen Lager anbahnt, zeigen auch Äußerungen von Ex-BDI-Chef und AfD-Sympathisant Hans-Olaf Henkel. Spannend ist, ob und wie die politische Linke verunsicherten Mittelschichten eine gesellschaftliche Alternative anbieten kann.

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