Eine Prüfung, die (wie) im Flug vergeht

Für ein paar Stunden ins Paradies - mit dem Wasserflugzeug zu den Whitsunday Islands im Great Barrier Reef

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
Dan Bolton kann sich nichts besseres vorstellen, als Pilot eines Wasserflugzeugs im Great Barrier Reef zu sein.
Dan Bolton kann sich nichts besseres vorstellen, als Pilot eines Wasserflugzeugs im Great Barrier Reef zu sein.

Heute ist Dans großer Tag. Seit er vor neun Monaten seine Pilotenausbildung begann, hat er sich auf diesen Tag gefreut. Heute wird er zum ersten Mal nicht nur mit seinem Ausbilder hinaus zu den Whitsunday Islands fliegen, sondern mit einer Gruppe Touristen. Aufgeregt ist der 21-Jährige deswegen nicht, im Gegenteil: Lässig lehnt er an dem kleinen Wasserflugzeug. In kurzen Hosen, drüberhängendem weißen Hemd, Sandalen, Basecape und mit riesiger Sonnenbrille auf der Nase entspricht er nicht gerade dem Klischeebild eines Piloten. Seine ganze Ausstrahlung signalisiert: Hey Leute, ich habe den besten Job der Welt!

»Lets go«, ruft er seinen Passagieren zu, und als alle in der kleinen Cessna verstaut sind, startet er die Maschine, um seinen Kindheitstraum wahr werden zu lassen: Wenn er an diesem Tag wieder weich auf die Piste der Airbase in Airlie Beach an der Ostküste Aus᠆traliens aufsetzen wird, hat Dan Bolton seine Prüfung bestanden. Gut fünf Stunden liegen bis dahin noch vor ihm und seinen sechs Passagieren. Fünf Stunden, in denen die Urlauber einen unvergesslichen Ausflug ins Great Barrier Reef erleben werden und Dan sowie sein Ausbilder und Prüfer Chad Baufield ihrem ganz normalen Job nachgehen.

Dan hebt ab, dreht kurz eine Runde über dem winzigen Flugplatz, dann dreht er ab in Richtung Reef. Die ersten Inseln kommen in Sichtweite, wie kleine, kleinere und winzige Punkte liegen sie verstreut im klaren, blaugrünen Wasser. »Schaut nur«, ruft Dan begeistert, »habt Ihr so was Tolles schon mal gesehen?« Eine rein rhetorische Frage, denn eine Antwort wartet er gar nicht erst ab. Während der Prüfling unter den kritischen Augen von Chad die kleine Maschine in bester Fotografierhöhe über die Whitsunday Inseln steuert, gibt er seinen Gästen gewissermaßen im »Schnelldurchflug« einen Überblick über das größte Korallenriff der Welt: Es ist rund 500 000 Jahre alt, erstreckt sich vom Norden Queenslands etwa 2300 Kilometer südwärts an der australischen Ostküste entlang und ist etwa so groß wie Deutschland. Rund 600 Inseln und 2500 einzelne Riffe verteilen sich in dem Riesenaquarium, in dem 1500 Fisch-, 400 Korallen-, 215 Vogel- und sechs Meeresschildkrötenarten zuhause sind.

»Gleich seht Ihr links unten das Herzriff«, ruft er, und legt die Maschine ein wenig schräger, damit seine begeisterten Gäste es auch gut vor die Linse bekommen. Für einen Moment hört man nur die Auslöser von sechs Fotoapparaten im Dauerbeschuss klicken, dann schaltet sich Dan wieder ein. »Das Herz kann man nur vom Flugzeug aus erkennen, entdeckt hat es ein Pilot aus unserem Team 1975 während eines ganz normalen Flugs. Keiner ahnte damals, dass ›The Heart‹ einmal zu einem der bekanntesten Werbemotive Aus᠆traliens wird.« Und er gibt noch ein bisschen pathetisch Nachschlag: »Wer dieses Herz einmal sah, um dessen Herz ist es geschehen.«

Dan muss es wissen, denn sein erstes Mal liegt viele Jahre zurück, als ihn sein Vater, der ebenfalls Wasserflugzeuge steuert, mit hinaus ins Reef nahm. »Seitdem wollte ich Pilot werden.«

Er dreht eine große Schleife und setzt im offenen Meer zum Landen an. Für die nächsten zwei Stunden haben die sechs Passagiere Zeit, die Unterwasserwelt des Reefs zu erkunden. Die Cessna wird an einem kleinen Glasbodenboot festgemacht, Dan und Chad verteilen Schnorchelausrüstungen, und ab geht's in Nemos bunten Korallengarten, der hier noch bilderbuchmäßig daherkommt. Es ist, als ob man in einem riesigen Aquarium unterwegs ist: Sanft wogen die Korallen hin und her, kleine und größere farbenprächtige Fische, wohin man auch schaut. Ein Paradies, das man so schnell nicht wieder verlassen möchte. Doch die Aussicht, auf dieser Tour noch weiteren Naturwundern zu begegnen, bewegt die Gäste dann doch, wieder an Bord zu kommen.

Kaum hat das Wasserflugzeug abgehoben, meldet sich Dan erneut zu Wort. »Die Whitsunday Islands liegen außerhalb des äußeren Riffgürtels. Genau genommen handelt es sich bei ihnen gar nicht um Koralleninseln sondern um den sichtbaren Teil eines riesigen Unterwassergebirges. Die insgesamt 74 kleinen Inseln, von denen nur sieben bewohnt sind, sind nichts anderes als die aus dem Meer herausragenden Gipfel.« Während sich die Passagiere gar nicht sattsehen können an dieser Schönheit, erzählt ihr fliegender Guide gleich noch, dass die Inseln ihren Namen Kapitän James Cook verdanken, der 1770 durch das Archipel segelte. Weil er annahm, dass es an Pfingstsonntag (Whitsunday) war, benannte er es einfach nach diesem Tag. Wie sich später herausstellte, war es in Wirklichkeit erst Pfingstsamstag, aber wen interessiert das heute noch.

Ob James Cook auch vor Whitehaven Beach geankert hat, ist nicht bekannt. Sollte er das aber versäumt haben, kann man ihn im Nachhinein wirklich nur bedauern. Denn Whitehaven Beach wird von Touristikern als einer der schönsten Strände der Welt bezeichnet. Sechs Kilometer nichts als feiner, reinweißer Quarzsand. Eingerahmt von üppiger Tropenvegetation auf der Landseite und dem in vielen Blau- und Violetttönen schimmernden glasklaren Wasser des Reefs, ist er ein beliebter Ort zum Heiraten. Die Hochzeitsnacht allerdings muss woanders stattfinden, denn niemand darf auf Whitehaven Beach übernachten. Nicht ein einziges Haus gibt es hier. Wer für ein paar Stunden mit Segelbooten oder dem Wasserflugzeug hierherkommt, kann sich wirklich fühlen wie Robinson. Die Vorfreude bei den Passagieren wächst, je näher sie Whitehaven Beach kommen.

Dan weiß genau, was er jetzt zu tun hat. Ganz langsam fliegt er in weitem Bogen auf den Strand zu, dreht so lange Schleifen, bis auch jeder das perfekte Bild im Kasten hat, und landet dann im seichten Wasser. Noch zwanzig Meter sind es zu Fuß durch das badewannenwarme Meer, dann können sich die Passagiere selbst davon überzeugen, dass Dan nicht geflunkert hat, als er ihnen davon erzählte, der Quarzsand am Strand sei so fein, dass er unter den Füßen quietscht.

Knapp zwei Stunden Zeit bleibt den Urlaubern im Paradies, bevor sie zurück nach Airlie Beach müssen. Zeit genug zum Baden, für einen kurzen Erkundungsgang ins »Hinterland«, vor allem aber zum Fotografieren: Denn so viel Schönheit glaubt einem sonst zu Hause niemand. Dann beginnt für Dan der letzte und wohl schwierigste Teil der Prüfung: Er muss seine Gäste irgendwie bewegen, den Weg zurück ins Flugzeug anzutreten. Jeder versucht, noch ein wenig Zeit herauszuschinden, für ein letztes Foto, einen letzten Blick, ein paar letzte quietschende Schritte durch den weißen Sand. Alle fühlen sich, als würden sie aus dem Paradies vertrieben. Letztlich aber siegt die Vernunft, denn: Wer will schon einem jungen hoffnungsvollen Piloten die Zukunft vermasseln? »Lets go home«, ruft Dan erleichtert, als endlich alle in der Maschine sitzen. Er lichtet den Anker, startet das Flugzeug, hebt ab, dreht noch eine Runde über dem Strand und landet ein paar Minuten später sicher im Heimathafen. Prüfung bestens bestanden, signalisiert Chad, und die sechs Zeugen bestätigen das gern.

  • Whitsunday Inseln: www.tourismWhitsundays.com.au
  • Flüge: www.airwhitsunday.com.au;
  • Infos zu Queensland: Tourism Queensland, c/o Global Spot, Oberbrunner Str. 4, 81475 München, Tel. (089) 759 69 88 69, E-Mail: germany@tq.com.au, www.queensland-australia.eu/de
  • Reiseführer: Dumont Richtig Reisen, »Australien«, 24,95 €
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