Roboter rücken näher

Auf der ICRA in Karlsruhe diskutierten Wissenschaftler über den Menschen als Partner und Vorbild von Maschinen 

  • Hans-Arthur Marsiske
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer Roboterforscher nach den wichtigsten Konferenzen ihres Fachgebiets fragt, hört in der Regel zwei Kürzel: IROS und ICRA. Die Abkürzungen stehen für »International Conference on Intelligent Robots and Systems« und »International Conference on Robotics and Automation«. Beide werden seit den 1980er Jahren vom internationalen Ingenieursverband IEEE organisiert und locken alljährlich mehrere tausend Wissenschaftler an. Zum ersten Mal traf sich die ICRA jetzt in Deutschland.

Organisiert vom Karlsruher Institut für Technologie zeigte die einwöchige Veranstaltung mit mehr als 900 Vorträgen vor allem eines: Menschen und Maschinen kommen sich näher. Anders als die fest montierten Roboterarme, die seit gut 50 Jahren in Fabrikhallen Autokarosserien montieren und Kisten stapeln, sollen die Roboter der Zukunft Seite an Seite mit ihren menschlichen Kollegen arbeiten. Das erfordert allerdings grundlegende Veränderungen im Design.

Ursprünglich waren Industrieroboter darauf ausgerichtet, mit großer Präzision und Kraft die stets gleiche Bewegung auszuführen, anfangs noch ohne Sensoren und sogar ohne Computer. Um Unfälle zu vermeiden, werden sie auch heute noch durch Käfige abgeschirmt. Ihre Programmierung ist aufwendig.

Der neue Typ Roboter, der den Menschen auch im Büro, in der Werkstatt oder zu Hause zur Seite stehen soll, muss dagegen anpassungsfähig, flexibel und leicht zu bedienen sein - so wie Baxter, der zweiarmige Industrieroboter der US-Firma Rethink Robotics. Als potenzielle Kunden habe er in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen im Auge, die bislang kaum Roboter nutzten, sagte Firmengründer Rodney Brooks. Für sie sei es wichtig, dass Baxter in weniger als einer Stunde nach der Lieferung einsatzbereit sein könne. Es müsse auch niemand eine spezielle Programmiersprache lernen, vielmehr werde der Roboter wie ein menschlicher Kollege eingewiesen - indem ihm die erforderlichen Bewegungen einfach vorgemacht werden. Baxter quittiert Befehle, indem er mit seinem »Kopf« nickt. Augen auf dem Monitor zeigen, worauf seine Aufmerksamkeit gerade gerichtet ist.

Entscheidend ist die Nachgiebigkeit der Roboterarme. Über Kameras, Ultraschallsonar und Kraftsensoren nimmt Baxter seine Umgebung wahr und stoppt die Bewegung des Arms, sobald er ein unerwartetes Hindernis berührt. Dadurch könne er im unmittelbaren Kontakt mit Menschen arbeiten, versichert Brooks, der den Roboter zum bemerkenswert niedrigen Stückpreis von 22 000 US-Dollar anbietet.

Im Moment ist noch offen, inwieweit Baxter, der erst vor gut einem halben Jahr der Öffentlichkeit präsentiert wurde, den Markt für Roboter aufmischen kann. Es wäre nicht das erste Mal, dass Brooks der Technologieentwicklung entscheidende Impulse gegeben hätte. Schon vor mehr als 20 Jahren zählte der gebürtige Australier zu den ersten Forschern, die erkannten, dass Intelligenz ohne Beachtung des Körpers nicht verstanden werden kann. Wer künstliche Intelligenz erzeugen wolle, so seine Schlussfolgerung, müsse Roboter bauen, die in einer realen Umgebung sinnvoll agieren können. Die Häufigkeit, mit der auf der ICRA von »embodiment« oder »embodied intelligence« gesprochen wurde, zeigt, wie sehr dieser Gedanke die Forschung heute prägt.

Die europäische Gallionsfigur für diesen Ansatz, der Roboter iCub, war im Ausstellungsbereich der Konferenz gleich an mehreren Ständen zu sehen. Nach dem Vorbild eines etwa dreijährigen Kindes gestaltet, soll dieser unter Federführung des Istituto Italiano di Tecnologia (IIT) entwickelte Roboter helfen, die Entwicklung des Erkenntnisvermögens zu verstehen, indem er wie ein Kind herumkrabbelt, Dinge in die Hand nimmt und sich umschaut. Etwa 25 Forschungsgruppen weltweit arbeiten derzeit mit dem iCub, darunter auch die TU München, die an ihrem Stand den Prototyp einer berührungsempfindlichen Haut für den Roboter präsentierte.

Tatsächlich ist der Tastsinn nicht nur erforderlich, damit ein Roboter wie Baxter keinen Menschen umhaut. Es ist auch der erste Sinn, mit dem der Mensch sich selbst und seine Umwelt wahrnimmt. Das beginnt bereits im Mutterleib, wie Yasuo Kuniyoshi von der University of Tokyo hervorhebt. Er beeindruckte die Konferenzteilnehmer mit Videoaufnahmen eines menschlichen Fötus, erzeugt aus Ultraschalldaten, die zeigten, wie aus zunächst unkoordinierten Armbewegungen nach etwa 26 Wochen Schwangerschaft koordinierte Bewegungen werden und das Kind einige Wochen später gezielt das eigene Gesicht berührt. Diese Entwicklung ließ sich in einer Computersimulation nur dann reproduzieren, wenn sich die taktilen Sensoren ähnlich wie beim Menschen in Händen und Gesicht konzentrierten. »Der Körper formt das Gehirn«, sagt Kuniyoshi. »Eine Karte vom eigenen Körper ist die Grundlage für alle höheren kognitiven Funktionen.«

Wie es scheint, rücken Menschen und Roboter einander nicht nur physisch näher, sondern werden sich dabei auch immer ähnlicher. Einige Wissenschaftler drängten zum Abschluss der ICRA daher darauf, verstärkt den Austausch mit Geisteswissenschaftlern und Kulturschaffenden zu suchen. Es stellten sich mittlerweile ganz real Fragen, die bislang der Science Fiction vorbehalten gewesen seien, betonte Yoshihiko Nakamura von der University of Tokyo: Wie menschlich können Roboter werden? Und wie menschlich sollen sie werden?

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