Hände weg von Merkel

  • Jürgen Reents
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit der zu Wochenanfang veröffentlichten Merkel-Biografie der Springer-Redakteure Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann sind wir um eine Gewissheit ärmer: Die Bundeskanzlerin kam gar nicht aus dem Nichts, sie kam aus der DDR. Obwohl, ist das ein großer Unterschied? Nach allem, was man so lesen kann, war die DDR ja so eine Art Vorhölle zum Nichts.

Zu denen, die das besonders gut beurteilen können, gehört Jörg Quoos, Chefredakteur des »Focus«. Die jüngste Ausgabe seines Magazins brachte einen langen Artikel, der einige Zitate aus der Merkel-Biografie enthielt. Beim »Focus« nennt man das »dokumentieren«. Quoos selbst fragt in seinem Editorial: »Welche Prägung erfuhr Bundeskanzlerin Angela Merkel in den 35 Jahren, in denen sie in der DDR lebte?« Ja, liest der denn sein eigenes Heft nicht? Sie war Reformkommunistin! Das ist doch unglaublich! Ein »Focus«-Redakteur fragt einen der beiden Buchautoren extra noch, ob dieses Urteil über Merkel »nicht zu hart« sei. »Nein«, antwortet der. Dabei ist Reformkommunist alphabetisch die letzte Stufe vorm Stalinisten. Das weiß man in München natürlich, wie sonst wäre man auf eine so ausgebuffte Frage gekommen?

Doch nun, wo »Focus« und Hokuspokus dem »ersten Leben« der Kanzlerin seine Geheimnisse entrissen haben, wissen auch wir - oho oho: Die Lieblingsfarbe der jungen Angela war blau. Und so war auch ihr Brautkleid. Vorenthalten wurde uns leider, ob sie dieses aus ihrem eigenen FDJ-Hemd geschneidert hat oder aus dem ihres Bruders. Textilmangel gab’s im Osten, das ist hinlänglich bekannt. Ich hörte kürzlich, dass dies der wahre Grund für die Freikörperkultur an vielen Stränden der DDR gewesen sei. Wobei für mich als Westgeborener natürlich die Neuigkeit war, dass es überhaupt Strände in der DDR gab, und sogar Menschen, die sich dort vergnügten, statt in ihren Betrieben und auf Parteiversammlungen den Marxismus-Leninismus zu pauken. - Moment, habe ich eben geschrieben: in »ihren« Betrieben? Das war nicht so gemeint.

Man meint eben nicht immer, was man sagt oder schreibt. Froh bin ich über den grünen Europa-Abgeordneten und Bürgerrechtler Werner Schulz, der dies auf zeit-online aufgeklärt hat. In der DDR galt ihm zufolge: »Offiziell sagte man das, was die Herrschenden hören wollten. Insgeheim hatte man eine andere Meinung, die nur wenige kannten, denen man vertraute. Angela Merkels verschlossener Charakter erklärt sich aus diesen Verhältnissen. Auch sie musste sehr genau überlegen, was man sagt.« Das hat Schulz, seitdem er äußeren Zwang los ist, nicht mehr nötig. Jetzt sagt er etwas und überlässt es anderen zu überlegen, was er eigentlich meint. Also: Wenn alle damals »offiziell« nur das gesagt haben, »was die Herrschenden hören wollten«, wie soll man heute noch Gut von Böse unterscheiden? Alle »offiziellen« Dokumente, z. B. die von der BStU archivierten Stasi-Unterlagen, sind dann doch wertlos, könnten getrost in den Reißwolf. Das sollte Schulz mal sehr genau überlegen, bevor er sowas sagt.

Aber halten wir uns nicht mit Details auf. Angela Merkel, so haben ihre Springer-Biografen und deren Zeitzeugen herausgefunden, war mit »verantwortlich für die Gehirnwäsche im Sinne des Marxismus«, sie war aktiv für die »geistige Mobilmachung« und half mit, »alles, was man in der DDR zu glauben hatte, in die Gehirne der Leute abzufüllen«, sie war »durchaus nutzbar als Pfarrerstochter im Sinne des Marxismus-Leninismus«. Noch Fragen? Nein. Aber eine ernste Warnung: Hände weg von der ersten Sozialdemokratin an der Regierungsspitze seit Willy Brandt!

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