Tunesische Zukunftssuche
Roland Etzel über die Gewalt in Tunesien
Tunesien war Auslöser des sogenannten Arabischen Frühlings, als Anfang 2011 Demonstranten, der Polizei trotzend, sich nicht von der Straße treiben ließen und so den Präsidenten in die Flucht schlugen. Verglichen mit den blutigen Machtkämpfen, die danach in anderen arabischen Staaten einsetzten und in Syrien ohne Aussicht auf ein baldiges Ende sind, war der Regimewechsel in Tunis ausgesprochen friedlich.
Ein evolutionärer Prozess von der straffen Diktatur Ben Alis, die innerhalb der muslimischen Welt als ungewöhnlich religionsfern bezeichnet werden muss, zur demokratischen (halb)-islamischen Republik ist das Ziel, aber ohne Vorbild in der Region. Dazu kommt, dass nur wenige der derzeit Regierenden über nennenswerte staatspolitische Erfahrung verfügen. Und schließlich ist da die ungelöste Machtfrage in einer Gesellschaft zwischen zwei Polen: hier die relativ gut ausgebildete, aber - daran gemessen - äußerst perspektivarme Jugend der Städte; dort die religiös geprägte Bevölkerungsmehrheit.
Beide Lager einte der Hass auf Ben Ali, der hilft heute zu keinem Konsens mehr. Denn die neuen Gesellschaftsmodelle der einen wie der anderen Seite sind nicht kompatibel. Es mag Personen in der Regierung geben, die da einen Kompromiss suchen. Aber nach einigen politischen Morden in jüngster Zeit herrscht Misstrauen. Da kann jede unsensible Staatsentscheidung - und eine solche war das alternativlose Verbot des Kongresses vom Sonntag - zum Ausbruch von Gewalt führen.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.