»Es ist kompliziert mit dem Erfolg«: Feminismus nach der Aufschrei-Debatte

Das »Missy Magazine« lud zur Debatte über Perspektiven abseits von Social Media ins Berliner HAU

  • Julia Seeliger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Aufschrei-Debatte um männliche Übergriffigkeit hat im Winter dieses Jahres viel aufgewühlt. Am Montag lud das feministische Missy Magazine zum „Aufschreitalk“ ins Hebbel am Ufer in Berlin. Die Leitfrage der ausverkauften Veranstaltung „same as it ever was?“, auf dem Podium diskutierten Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek, Webaktivistin Jasmin Mittag, Missy Magazin-Journalistin Sonja Eismann, die auch moderierte – sowie die Wissenschaftlerinnen Nana Adusei-Poku und Angela McRobbie.

McRobbie stellte in ihrem Einstiegsvortrag die drei Aspekte Körper, „Corporate Feminism“ und Wettbewerb heraus. Seit den 90ern sollen Frauen nicht nur vital und fit sein, von der Werbung würden auch intergenerationelle Konflikte geschürt. In einer Turnschuhwerbung wurde die Frage „Warum läufst du?“ nicht nur mit „damit ich Tanga tragen kann“, sondern auch mit „Ich liebe meine Mutter, aber ich will nicht aussehen wie sie“ beantwortet.

Humorlose Feministinnen?

Genau wie Feministinnen gern Humorlosigkeit unterstellt wird, wird auch gern der Generationenkonflikt aufgemacht: Wenn die feministische Mutter aus den 70ern, 80ern Unisex kennt, wird sie sich über Spielzeug und Kleidung von heute ärgern, aufgeteilt in rosa und blau, in Prinzessin und Pirat. „Eine Provokation für ältere Feministinnen“ sei diese Konsumkultur, sagt McRobbie und verweist auf das „Tarantino Girl“, das für den Sexismus der neoliberalen Zeit stehe.

„Es ist kompliziert mit dem Erfolg“ sagt McRobbie. Wie erreichbar sei dieser in einer Zeit von Arbeitslosigkeit und schlechten Löhnen? Zudem wirke der Wettbewerb ums Schön-und erfolgreich-sein stärker auf die Opfer von Diskriminierung ein, sich nicht mehr als Opfer darstellen zu wollen. Denn das Opfer sei ein „Loser“ im Wettbewerb, das Scheitern werde individualisiert jund privatisiert. Hierbei kritisiert sie Facebook explizit, sowohl den „Corporate Feminismus“ von Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg („I learned to network through smiling“) der anderen Frauen vorspiegelt, auch sie könnten alles erreichen – aber auch die Auswirkungen von Facebook an sich.

Gleichwohl sieht auch McRobbie Perspektiven im Social Media Feminismus, wie er von Anne Wizorek und Jasmin Mittag betrieben wird. Mittag macht die Facebook-Aktion „Wer braucht Feminismus“, da kämen Statements sowohl zu Alltagssexismus wie auch zu globalen Frauenrechten heraus.

Intersektionalität zu erklären ist eine komplizierte Aufgabe

Sokee ist studierte Sprach- und Genderwissenschaftlerin und performt „Ein Backlash folgt dem nächsten / Rapper Macker Spießer“. Die Rapperin arbeitet auch mit Jugendlichen und hat dabei schnell bemerkt, dass man denen mit Judith Butler noch nicht kommen kann: „Intersektionalität zu erklären ist eine komplizierte Aufgabe“. Sie erzählt, dass sie oft als „Gender-Rapperin“ bezeichnet werde, was eine Markierung darstelle, denn die männlichen Rapper seien ja auch Gender-Rapper, da sehe es nur niemand.

Das ergänzt Anne Wizorek: die Aufschrei-Debatte sei „keinesfalls intersektional abgehandelt“ worden. Vielmehr werde der Kern des Problem umtänzelt mit Sprüchen wie „was dürfen wir jetzt eigentlich noch?“ „Ihr überinterpretiert“ oder gar „seid hysterisch“. Adusei-Poku ergänzte mit dem Hinweis, Sexismus könne sich auch als Rassismus tarnen und weist wie McRobbie darauf hin, dass Sexismus ein „Pre-Butler-Term“ sei. Anne Wizorek erzählt, es habe auch einen Queer-Aufschrei gegeben, man habe sich gegenseitig retweetet. Ein Erfolg der Debatte an sich sei, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach der Aufschrei-Debatte mehr Anfragen bekomme.

Social Media Feminismus

Als Perspektiven abseits des Social Media Feminismus sehen die Diskutantinnen Bildungsarbeit, Bürokratie und die Entdeckung des Lokalen, Dezentralen. Sokee sagt, sie wünsche sich „viel Geld für ein kluges Ausbildungskonzept für Kinder und Erwachsene“. McRobbie machte ein leidenschaftliches Statement dafür, sich in der Uni-Bürokratie zu engagieren und auch Adusei-Poku kündigte an, sich in den Uni-Gremien für Veränderungen bei den Curricula einzusetzen.

Befragt, ob die Krise zu einem Backlash führen wird, der die Frauen am Ende aus dem Arbeitsmarkt drängen wird, sagt McRobbie, es werde noch härter, als es eh schon ist, aber ein „Zurück an den Herd“ werde es aus ihrer Sicht nicht geben, dafür würden auch Konservative zu viel Feminismus betreiben. Weitere Perspektiven für antisexistische Räume sieht sie im Lokalen und Dezentralen.

Anne Wizorek bei der re:publica 2013
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