Gefährdete Probanden

Ethikrat diskutiert die Änderung von Standards in der Arzneimittelforschung

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einem Vorschlag zur Neuregelung der Arzneimittelforschung will die EU der Industrie nützen - womöglich auf Kosten der Probanden, kritisiert der Deutsche Ethikrat.

Arzneimittel müssen vor ihrer Zulassung erforscht werden, es muss Studien auch an Menschen geben, diese sind nicht ohne Risiko. In Deutschland gibt es dafür gute Standards und Gesetze, außerdem auch Ethikkommissionen - so könnten sich Patienten, Versicherte und Verbraucher beruhigen lassen. Andererseits steht die Europäische Union kurz davor, eine neue Verordnung zur Arzneimittelforschung an Menschen zu beschließen. Diese Regelung erfuhr bereits viel Kritik, auch der Deutsche Ethikrat widmete sich auf seiner Jahrestagung in Berlin dem Thema.

Die zukünftige EU-Verordnung wurde ausgearbeitet, weil die bisherige Direktive von 2001 vermutlich zu einem Rückgang der Zahl von Arzneimittelstudien um 20 Prozent geführt habe, bezogen auf den Zeitraum zwischen 2007 und 2011. Aber selbst Befürworter der neuen Regeln trauen diesem Zusammenhang nicht ganz, betonte Ignaz Wessler, Facharzt für klinische Pharmakologie. Er wies darauf hin, dass die Zahl der Studien in Deutschland nur von 1400 auf 1214 zurückgegangen sei.

Die EU-Kommission wolle vor allem den Forschungsstandort erhalten und entlaste Industriesponsoren damit, dass einheitliche Antragsunterlagen bald elektronisch eingereicht werden könnten. Die forschenden Hersteller könnten dann den zur jeweiligen Studie berichterstattenden Mitgliedstaat benennen, Anmerkungen anderer beteiligter Staaten müssten nur »gebührend berücksichtigt« werden. Fristen für Einspruchsmöglichkeiten oder Nachforderungen von Unterlagen würden deutlich knapper.

Insgesamt, so sieht es auch der Medizinrechtler Andreas Spickhoff aus Göttingen, geht es um einen Zeitgewinn von 30 Tagen im Antragsverfahren für eine Studie, im gleichen Zuge werden die Ethikkommissionen entwertet. Spickhoff sieht die Gefahr, dass »das hohe deutsche Niveau bei der Sicherung der Probanden auf ein einheitliches, niedrigeres Niveau abgesenkt« werde.

Besonders problematisch stellt sich der künftige Schutz sogenannter »Sonderpersonen« in der neuen EU-Regelung dar. Für diese werden Standards aufgeweicht: Bei Minderjährigen war bisher ein individueller Nutzen zwingend. In Zukunft soll hier ein potenzieller »Gruppennutzen« genügen. Auch die Einbindung von nicht einwilligungsfähigen Menschen und Notfallpatienten würde erleichtert.

Das Thema Probandenschutz behandelte der Medizinethiker Jochen Vollmann aus Bochum ausgehend von historischen Beispielen. Die dokumentierten Aussagen von Medizinern aus den Jahren 1900 und 1938 über die Aufklärung und Einwilligung von Patienten wirken heute erschreckend und unmenschlich. Vollmann wies darauf hin, dass die meisten Regulierungen in diesem Bereich erst nach Skandalen erfolgten. Studien von westdeutschen Unternehmen mit Patienten in der DDR müssten wissenschaftlich unabhängig untersucht werden. Vollmann könnte sich hier einen Zusammenhang mit den in den 80er Jahren in der BRD eingeführten Ethikkommissionen vorstellen. Möglicherweise sei die Industrie in die DDR ausgewichen.

Weiterhin aktuell bleibt aber auch in der Bundesrepublik die Frage, ob bei allen Studien ein wirklicher Aufklärungs- und Einwilligungsprozess zu Stande gekommen ist. Redet ein Arzt gegenüber Probanden von einer Prüfsubstanz oder über ein »ganz neues Medikament«? In der Berliner Debatte wurde mehrfach gefragt, wie ein informierter Konsens mit den Patienten herzustellen sei. Das vorrangige ärztliche Interesse an erfolgreicher Forschung sollte nicht unterschätzt werden, Probanden als schwächste Beteiligte müssten weiterhin einen starken Schutz genießen.

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