Lauter Protest

34. Theatertreffen der Jugend geht am Samstag zu Ende

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Mensch ist nur dann Mensch, wenn er spielt« sagte einst Schiller. Sich selbst und die Welt durch theatralisches Spiel erfahren wollten die Akteure von insgesamt 102 nichtprofessionellen Theatergruppen, die an der Vorrunde des 34. »Theatertreffens der Jugend« teilnahmen, von denen die acht besten in diesen Tagen ihre Aufführungen im Haus der Berliner Festspiele zeigen. Angeleitet wurden sie von professionellen Theaterpädagogen, Regisseuren und Schauspielern.

Sebastian Nübling, der einzige Regisseur, dessen Inszenierungen sowohl beim »Berliner Theatertreffen« der Profis als beim »Theatertreffen der Jugend« gezeigt worden sind, hat einmal formuliert, was ihn an der Arbeit mit jugendlichen Laien reizt: »mit Leuten und ihren nicht immer geradlinig verlaufenden Biographien kreativen Schwung aufnehmen« zu können. Die Berliner Theaterschaffenden Cindy Ehrlichmann und Dagmar Domrös vom »Theater o.N.« haben mit Kindern und Jugendlichen aus Hellersdorf gearbeitet und sie in die Lage versetzt, auf der Bühne von ihren Enttäuschungen und Hoffnungen zu erzählen. Die 15-jährige Nathalie-Michelle Bremer etwa berichtet vom Fremdgehen und vom Verlassenwerden, der gleichaltrige Stefan davon, dass er eine Messerstecherei angezettelt hat und sein Freund René vom Schule schwänzen. In einer Spielszene werden verschiedene Varianten einer Geschichte durchgespielt, in deren Verlauf ein junges Mädchen in ein Heim übersiedeln muss, weil ihre Mutter zur Alkoholentziehungskur eingewiesen worden ist.

In der Inszenierung »Almost lovers« vom Jungen Schauspielhaus Düsseldorf erzählt ein 18-Jähriger von seiner Hassliebe zu seinem Vater, der von traumatischen Erlebnissen im Bürgerkrieg im Kosovo gezeichnet ist. Der Sohn und 12 andere Jungen sind von den Initiatoren des « Theaters Mobil« vom Düsseldorfer Schauspielhaus fürs Theaterspiel gewonnen worden. Sie beklagen im Spiel das, was ihnen fehlt: ein intaktes Zuhause, Zukunfts- und Bewährungschancen. Wir erleben bis zur Schmerzgrenze brutal ausgespielte Szenen im Stadion, im Boxring, im Jugendgefängnis und in der Disco. Bengalos werden entzündet, Nebel steigt auf, Fangruppen gehen aufeinander los und eine Pokalnachbildung wird im Triumphzug durch die Manege getragen.

Auch andere Spielgruppen beschäftigen sich mit brisanten Themen - und werden übers Spiel politisch. Die Jungen und Mädchen aus Grevenbroich beispielsweise wollten eigentlich »nur Theater machen«, Mittel des Puppenspiels und des Objekttheaters ausprobieren. Da erfahren sie davon, dass ganze Dörfer in ihrer Region vom Tagebaubagger abgeräumt werden sollen. Das immer größer werdende Loch wird Gegenstand von Angst und Wut. Die Jugendlichen interessieren vor allem die Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Am Ende, anschließend an eine Kamerafahrt durchs verlassene Dorf kommen sie in einem kleinen Film zu Wort und erzählen mit brüchiger Stimme und mit sichtlicher Überwindung vom schweren Neuanfang im fremden Ort.

Auch in der Solinger Inszenierung von »99 Prozent«, die die Sache einer Mehrheit von 99 Prozent gegenüber dem einen Prozent der Reichen und Mächtigen vertreten will, dominiert das Wort, die zumeist lauthals herausgeschriene Protestresolution. Die Spieler attackieren - solistisch oder im Chor, in Sololiedern oder in aufwendigen Bewegungschoreographien - nationale und internationale Fehlentwicklungen und Defizite. Ein junges Mädchen fordert zornig, dass sie endlich den Fernsehnachrichten wieder glauben kann und wünscht sich endlich eine von Giftstoffen freie Tomate; ein singender Gitarrenspieler verspottet die Hilflosigkeit Obamas und beklagt den Verrat am »arabischen Frühling«.

Das Problem der beiden letztgenannten Inszenierungen: es fehlen die ganz einfachen Geschichten zwischen Menschen, die dramatischen Figuren mit individuellen Zügen. Damit im Zusammenhang steht auch die oft undifferenzierte Lautstärke der Klage und der Empörung. Vielleicht liegt es daran, dass in diesem Jahr noch keine herausragenden schauspielerischen Leistungen aufgefallen sind, die - wie vor Jahren im Fall der inzwischen im Berufstheater zu Ruhm und Ehren gekommenen Sandra Hüller - eine große Zukunft versprachen.

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