Hochwasser: Evakuierung der Stadt Mühlberg angeordnet

30.000 Menschen müssen in Halle ihre Wohnungen verlassen / Seit 400 Jahren höchster Saale-Pegel / Wände sollen AKW Krümmel vor Elbeflut schützen

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Berlin (Agenturen/nd). Das Hochwasser hält weiter die Anwohner und Einsatzkräfte in Atem. Vor allem in Ostdeutschland war die Lage am Mittwochmorgen weiter vielerorts dramatisch.

Im Süden des Bundeslandes wurde am Mittwoch die Evakuierung der Stadt Mühlberg an der Elbe angeordnet. Mehr als 4.000 Einwohner, darunter auch Bewohner eines Pflegeheims, müssen den Ort direkt an der Grenze zu Sachsen verlassen. Die Bürger wurden nach Angaben des Landkreises Elbe-Elster am Nachmittag von der Polizei mit Lautsprecherwagen aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Im Landkreis brach am Mittwochmorgen zudem bei Herzberg ein Deich der Schwarzen Elster auf rund 20 Metern Länge. Bei Bad Liebenwerda wurde ein Deich überflutet. Die Schwarze Elster fließt in die Elbe. Die Lage im Landkreis sei so komplex, »wie wir sie so noch nicht hatten«, erklärte Landrat Christian Jaschinski (CDU).

Auch die Spree führt immer mehr Hochwasser nach Brandenburg. Aus der Spremberger Talsperre werden seit Mittwoch 100 Kubikmeter Wasser pro Sekunde abgelassen, um die Wassermassen aus der übergelaufenen Talsperre im sächsischen Bautzen zu bewältigen. In der Lausitzstadt Cottbus wurden wegen des erwarteten Hochwassers zehn Brücken unter anderem wegen Gefahren durch Treibgut gesperrt und an mehr als 20 Orten Gefahrenstellen durch Sandsäcke gesichert.

Für die Einwohner von Mühlberg stünden Notquartiere in Turnhallen unter anderem in den Orten Finsterwalde und Tröbitz zur Verfügung, hieß es weiter. Inzwischen seien dort rund 500 Einsatzkräfte von Bundeswehr, Polizei und Feuerwehr dabei, unsanierte Deiche zu erhöhen und die Zufahrt zur Stadt zu kontrollieren. Der Ort wurde für Auswärtige gesperrt. Für die Region wurde am späten Vormittag Katastrophenalarm ausgelöst. Mühlberg ist unter anderem durch zwei Deichbaustellen gefährdet.

Die Elbe ist in Mühlberg nach Angaben des Landkreises seit Sonntag um mehr als drei Meter auf rund 8,90 Meter angestiegen. Ein weiterer Pegelanstieg auf mehr als zehn Meter sei nicht auszuschließen, hieß es. Die Stadt liegt direkt an der Grenze zu Sachsen und ist durch das sogenannte »Wunder von Mühlberg« beim Elbe-Hochwasser 2002 bekannt geworden, als die durchgeweichten Dämme des Ortes der Flut standhielten. Mühlberg wurde auch 2002 evakuiert.

Auch in der Saalestadt Halle hat sich die Hochwasserlage am Mittwoch für zehntausende Einwohner gefährlich zugespitzt. Durch das Überlaufen des Gimritzer Dammes werden Teile der Innenstadt und der Plattenbau-Großsiedlung Halle-Neustadt überflutet, teilte am Mittag Sachsen-Anhalts Krisenstab in Magdeburg mit. Etwa 30.000 betroffene Bewohner seien aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Sie erhalten Unterstützung von mehreren Hundert Einsatzkräften. Mehr als 8 Meter betrug der Pegelstand der Saale am Mittwochmorgen, teilte die Stadt mit. Normal sei ein Stand von weit unter 3 Metern. „Seit 400 Jahren ist das der höchste Stand“, betonte ein Sprecher. Teile der Innenstadt würden zunehmend überflutet. Ein Damm sei stark aufgeweicht.

Der Kraftwerksbetreiber Vattenfall trifft wegen des drohenden Elbe-Hochwassers bereits Vorbereitungen zum Schutz des abgeschalteten Atommeilers Krümmel in Geesthacht. Die Belegschaft sei darauf vorbereitet, erstmals in der Geschichte des Kernkraftwerkes bei Hochwasser die Fluttore zu schließen, sagte ein Vattenfall-Sprecher dem »Manager Magazin Online«. Zudem stehen mobile Schutzwände bereit, um das Kraftwerk vom Wasser abzuschotten. Schleswig-Holsteins Atomaufsicht steht mit Vattenfall bereits wegen des Hochwassers in engem Kontakt, wie das Kieler Umweltministerium mitteilte. Krümmel sei »bestens für alle absehbaren Pegelstände gerüstet«, sagte der Vattenfall-Sprecher. Das direkt an der Elbe gelegene AKW Krümmel ist trotz Stilllegung auf eine verlässliche Stromversorgung angewiesen, um verbrauchte Brennelemente zu kühlen. Anfang kommender Woche soll die Elbe zwischen Lauenburg und Geesthacht ihren höchsten Pegelstand erreichen.

Wegen eines überlaufenden Sees in Nordsachsen sind am Mittwoch mehrere Dörfer zwangsevakuiert worden. Die Bewohner von Löbnitz und Sausedlitz am Seelhausener See müssten alle ihre Häuser verlassen, sagte der Sprecher des Kreises Nordsachsen, Rayk Bergner. »Der See ist einfach voll, und er läuft über.« Es bestehe die Gefahr, dass die Sogwelle abfließenden Wassers zu Erd-Abbrüchen führen könnte. Bereits am Dienstag war am Fluss Mulde ein Damm gesprengt worden, um weiteres Einfließen von Wasser in den randvollen Seelhausener See zu verhindern. Eventuell solle diese Stelle noch verbreitert werden, sagte Bergner. Die Situation sei kritisch.

Das Hochwasser der Weißen Elster hat den Greizer Landschaftspark in Thüringen verwüstet und auch das dortige Sommerpalais schwer getroffen. »Es ist eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes«, sagte der Direktor der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Helmut-Eberhard Paulus, am Mittwoch bestürzt. Der Park gleiche einer Mondlandschaft. Das als national bedeutsames Denkmal eingestufte Ensemble aus Park und Palais war in den vergangenen Jahren mit Millionenaufwand saniert und rekonstruiert worden. In einer ersten Bestandsaufnahme sprach Paulus von rund 2,6 Millionen Euro Schaden. Nun hofft die Stiftung auf Spenden, ein Konto wurde eingerichtet.

Angesichts des nahenden Elbe-Hochwassers hat der Kreis Ludwigslust-Parchim Katastrophenalarm ausgelöst. Dies sagte der Umweltminister von Mecklenburg-Vorpommern, Till Backhaus (SPD), am Mittwoch in Rostock. »Die Prognosen deuten auf ein Szenario hin, das wir wirklich noch niemals gehabt haben», betonte der Politiker. Er gehe davon aus, dass am Montag, Dienstag, spätestens Mittwoch nächster Woche mit der vollen Wucht dieser Flut zu rechnen sei. »Wir müssen uns auf eine höchst komplexe und schwierige Lage vorbereiten.«

Laut dem Koordinierungszentrum Krisenmanagement im Innenministerium sind vom Landkreis Prignitz bereits 500 000 Sandsäcke geordert worden. Sprecher Wolfgang Brandt ist wie die Ministerin der Meinung, dass aus den vorangegangenen Hochwasserfluten die richtigen Erkenntnisse gezogen worden sind. Vor allem die Kommunikation der Behörden untereinander sei gut. Die Helfer hätten die Lage an den als kritisch eingeschätzten Flüssen Schwarze Elster und Spree im Griff, betonte der Sprecher.

Derweil hat der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, die Hilfszusagen in Höhe von 100 Millionen Euro von Kanzlerin Angela Merkel für die Menschen in den Hochwassergebieten als viel zu niedrig kritisiert. „Das kann nicht wahr sein, mindestens das fünffache wäre notwendig“, sagte Bartsch im Sozialen Netzwerk Facebook. „Wenn man sieht, wie schnell und wofür sinnlos Geld ausgegeben wird, ist das nur angemessen.“ Die Linke kündigte an, die Hilfszahlungen an die Hochwasser-Betroffenen im Haushaltsausschuss des Bundestags zu thematisieren.

In Dresden wurden weitere Evakuierungen vorbereitet, da die Pegelstände der Elbe zunehmend Sorge bereiteten. „Da steigt der Pegel langsam, aber kontinuierlich“, sagte Stadtsprecherin Heike Großmann. Mehr als 600 Menschen sollten vor den Wassermassen in Sicherheit gebracht werden. Außerdem sei in einigen Straßenzügen der Strom abgeschaltet worden. Das Landeshochwasserzentrum teilte mit, dass der Pegel der Elbe einen Stand von 8,05 Metern erreicht habe - normal seien etwa zwei Meter. Höchststände würden im Laufe des Tages erwartet.

Auch der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge bereitete weitere Evakuierungen vor. Am Pegel in Schöna nahe der Grenze zu Tschechien wurde in der Nacht zum Mittwoch die Zehn-Meter-Marke überschritten. 11 000 Menschen seien bislang in Sicherheit gebracht worden, sagte eine Sprecherin. In der Stadt Pirna musste das Rathaus geräumt werden, weil es wie die Altstadt unter Wasser stand.

Der Landkreis Nordsachsen rief für die betroffenen Gebiete an der Elbe Katastrophenalarm aus. "Das Schlimmste steht uns noch bevor", erklärte ein Sprecher. Am Mittwochmorgen wurden am Pegel in Torgau 7,90 Meter gemessen. Auch in Meißen drang die Elbe weiter in die Stadt vor. Fast alle Straßen in die Altstadt seien mittlerweile gesperrt, sagte eine Sprecherin. Am Mittwochmorgen wurde aus Meißen ein Wasserstand von 9,17 Meter gemeldet.

Problematisch war die Lage auch in Bitterfeld. Am vollgelaufenen Seelhausener See wurde am Dienstagabend ein Stück Deich gesprengt, wie der Krisenstab mitteilte. Dadurch sollte Schlimmeres verhindert werden. Zuvor war mitgeteilt worden, dass ein Deichbruch nicht mehr ausgeschlossen werden könne - und in diesem Fall eine erhebliche Menge an Wasser in die Stadt Bitterfeld fließen werde.

In Niedersachsen bleiben ab sofort für die Unterbringung von 2000 Einsatzkräften fünf Schulen in den Gemeinden Lüchow, Gartow, Clenze und Dannenberg geschlossen. Dies teilte der Einsatzstab des Landkreises am Mittwoch mit. Mehrere hundert Schüler dürfen bis mindestens Freitag zu Hause bleiben. Wegen des erwarteten Rekordhochwassers an der Elbe herrscht im Landkreis Lüchow-Dannenberg seit Dienstagabend Katastrophenalarm.

Unterdessen entspannte sich die Hochwasserlage in Thüringen mit fallenden Pegelständen weiter. Nachdem der Katastrophenalarm am Dienstagabend bereits für den Landkreis Greiz zurückgenommen wurde, gilt der Katastrophenfall in Thüringen nur noch für den Saale-Holzland-Kreis. In den meisten Landesteilen haben die Aufräumarbeiten begonnen.

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