Zu 80 Prozent militärisch bestimmt

Eine US-amerikanische Erfindung wird dem Iran zum Verhängnis - zum Streit um das Atomprogramm Teherans

  • Detlef zum Winkel
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Ursprünge des iranischen Nuklearprogramms reichen vier Jahrzehnte zurück. 1974 schloss das Schahregime einen Vertrag mit Siemens ab, der zunächst den Bau zweier Atomreaktoren in Buschehr vorsah und später erweitert werden sollte. Anschließend arbeiteten 5000 Deutsche auf der Großbaustelle Buschehr am Persischen Golf. Das veranschaulicht die Größenordnung und die Ambitionen der damaligen Kooperation. Zu jener Zeit gelang Siemens eine Reihe solcher Coups, bei denen es jeweils um Milliarden ging. Die Kunden glaubten, in eine Zukunft zu investieren, die sie in den Rang von Großmächten versetzen würde. Dazu gehörten aus ihrer Sicht selbstverständlich militärische Fähigkeiten. Der Schah wollte die Atombombe. So bezeugte es Abolfath Mahvi, ein in Wien und Genf operierender Vertrauter des Regenten, der den Vertrag mit Siemens aushandelte und die üppigen Provisionen aus den schwarzen Kassen des Elektrokonzerns in Empfang nahm, um sie an wen auch immer weiterzuleiten, so der »Spiegel« im April 2008.

Als erstes Indiz ist somit festzuhalten: Am Ursprung des iranischen Nuklearprogramms stand die Absicht, über Atomwaffen zu verfügen. Inzwischen regiert ein gänzlich anderes Regime in Teheran. 1979 wurde der Schah gestürzt. In der Folge zogen sich die 5000 Deutschen aus Buschehr zurück. Der Iran vereinbarte die Fertigstellung eines der beiden Reaktoren mit der russischen Firma Atomstroyexport. Unter den Fittichen des russischen Konsortiums war Siemens als Anteilseigner Moskauer und St. Petersburger Unternehmen wieder mit von der Partie.

Parallel zur Wiederaufnahme der Arbeiten in Buschehr begann die Islamische Republik mit dem Aufbau einer eigenen Urananreicherung in Natanz (Foto). Ihre ersten Zentrifugen erhielt die Fabrik durch das Netzwerk des pakistanischen Ingenieurs Abdul Qadeer Khan. Dabei handelte es sich um einen nuklearer Schmugglerring mit Sitz in der Schweiz und Dependancen in Deutschland, Südafrika und Malaysia, der Pakistan zu seiner Atombombe verhalf. (Siehe dazu meinen Beitrag: »Condoleezza calling«, in: konkret 5/2012) Diese Erkenntnisse brachte die CIA in Erfahrung, als sie den Schweizer Schwarzhändlern auf die Spur kam. Freilich nicht, um sie vor Gericht zu stellen, sondern um sie als Informanten zu gewinnen. Dass all dies überhaupt bekannt wurde, ist das Verdienst eines Schweizer Untersuchungsrichters, der trotz massiven Drucks der Regierung in Washington und seiner eigenen Bundesregierung darauf bestand, diese Sachverhalte anzuklagen.

Als zweites Indiz ist festzuhalten: Die Aufnahme der Urananreicherung geschah in einem klandestinen, militärischen Milieu. Sie geht zurück auf Aktivitäten eines Netzes, das ausschließlich zum Zweck der Proliferation gebildet wurde, d.h. ausschließlich zum Zweck der Weitergabe militärischer Atomtechnik.

Verlassen wir nun die historischen Betrachtungen, um unser Augenmerk auf die technische Ausstattung des iranischen Nuklearparks zu richten. Warum ist eine Urananreicherungsanlage so umstritten? Den meisten Menschen ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass auch Deutschland eine eigene bzw. autonome Urananreicherung verwehrt wurde. Denn der eine von den zwei Wegen zur Atombombe, der Weg zur Hiroshimabombe, führt nun einmal unvermeidlich über diese Technik. Das Misstrauen gegenüber den Deutschen war noch 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs so stark, dass man für ihre Beteiligung an der Anreicherung 1971 eine trinationale Lösung in Form der englisch-niederländisch-deutschen Gesellschaft URENCO fand.

Ernste Besorgnis gilt in der Tat allen Ländern, die mit größter Entschlossenheit auf einer eigenen Anreicherung bestehen und dabei weder Kosten noch Konflikte scheuen. Im Fall des Iran verschärft die Führung unter Mahmud Ahmadinedschad den Konflikt noch dadurch, dass sie nach Natanz eine weitere derartige Fabrik in Fordo nahe der Pilgerstadt Qom errichten ließ. Natanz soll Uran auf drei Prozent spaltbarer Anteile konzentrieren. In Fordo wird die Anreicherung auf 20 Prozent fortgesetzt. Von dort ist es nicht mehr weit bis zur Bombentauglichkeit des Materials.

Technisch, betriebsorganisatorisch und ökonomisch ergibt es keinen Sinn, die Anreicherung auf 20 Prozent von der Anreicherung auf 3 Prozent zu trennen. Die offizielle Begründung für den doppelten Aufwand lautet, man brauche das so bezeichnete Uran mittlerer Anreicherung (MEU) für Zwecke der Nuklearmedizin. Bisher hat weltweit noch kein einziger Mediziner dieses Argument unterstützt. Auf die Idee, dass man nicht nur einen eigenen Forschungsreaktor, sondern auch noch eine eigene Urananreicherung für radiologische Zwecke benötige, ist außer der Regierung der Islamischen Republik Iran noch niemand gekommen. Und so ist es auch mit der Glaubwürdigkeit dieses Arguments bestellt.

Als drittes, schwerwiegendes Indiz für militärische Absichten des iranischen Nuklearprogramms ist daher der Umgang mit der Urananreicherung zu notieren. Erneut ist die Beteiligung deutscher Firmen erwähnenswert. Derartige Anlagen benötigen eine aufwändige elektronische Steuerung. In Natanz wird sie mit Hilfe von Siemensrechnern und Siemenssoftware vorgenommen, was durch den Computerschädling Stuxnet unfreiwillig ans Licht kam. (Der auschließlich für Siemenstechnik programmierte Computerwurm richtete in Natanz beträchtlichen Schaden an.)

Das vierte Indiz hat eher noch größeres Gewicht. Der Iran betreibt in Isfahan eine Schwerwasserfabrik. Schweres Wasser benötigt das Land für einen speziellen Reaktor, der in Arak gebaut werden soll. Dieser Reaktortyp produziert besonders reines Plutonium. Am Schwerwassermodell sind daher nur Militärs interessiert. Hier wird der zweite der beiden Wege zur Atombombe, der Weg zur Nagasakibombe, deutlich erkennbar. Um so alarmierender ist es, dass auch an dieser Station Hilfe von deutschen Firmen im Spiel zu sein scheint.

Das bis hierhin Gesagte kann in einem Satz zusammengefasst werden. Ginge es dem Iran wirklich nur um zivile Zwecke, dann könnte er ohne Verlust - und stattdessen mit vielen Vorteilen - auf die Hälfte seines Atomprogramms verzichten.

Wie sieht es umgekehrt mit den zivilen Perspektiven dieses Programms aus? Verbal bekennt sich die Islamische Republik zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Sie hat den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen unterzeichnet und ist Mitglied der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO). Natürlich ist die Frage zu stellen, weshalb ein reiches Ölförderland ausgerechnet auf Kernenergie setzt und warum es nicht lieber seine Raffinerien ausbaut, um Benzinimporte zu vermeiden. Der Iran präsentiert ein wirtschaftliches Argument. Die Atomenergie soll ihm helfen, seinen Eigenverbrauch an Öl und Gas zu reduzieren. Um so mehr von diesen wertvollen Rohstoffen könne dann gewinnbringend exportiert werden.

Dieses Argument ist allerdings das einzige, das von iranischer Seite als Vorteil der Atomenergie vorgebracht wird. Typischerweise ist der Aufbruch eines Landes in die Kerntechnik von schwärmerischen Zukunftsaussichten begleitet: sie sei sicher, sauber, billig, stehe unerschöpflich zur Verfügung, und an die Stelle der Mühseligkeit der Arbeit werde letzten Endes die Genialität der Technik treten. Nichts von einem derartigen Enthusiasmus ist im Iran zu beobachten. Andererseits fehlt auch das Problembewusstsein, die Kontroverse um das Pro und Kontra der Atomkraft. Dabei bietet der Iran genügend Anlässe für diesen Diskurs. Er gehört bekanntermaßen zu den Ländern mit häufigen Erdbeben. Die ganze Wahrheit ist noch dramatischer: Auf seismologischen Karten, die jedermann im Internet finden kann, ist gerade die Region Buschehr als roter Punkt dargestellt, das heißt. als ein Ort maximaler Gefährdung.

Nicht jeder der 437 Atomreaktoren auf der Welt, von denen allerdings 47 japanische Reaktoren seit 2011 heruntergefahren sind, ist gleichermaßen gefährlich oder gleichermaßen gefährdet. Nachdem Fukushima die Empfindlichkeit dieser Anlagen gegenüber den Naturgewalten gezeigt hat, muss man international allein wegen ihres Standorts mindestens zwanzig Kraftwerke als besonders riskant ansehen. Zu ihnen zählt dasjenige von Buschehr, das inzwischen zu 100 Prozent hochgefahren und ans Stromnetz angeschlossen wurde.

Zusammengefasst ist das auffällige Desinteresse des Irans an den Fragen der kommerziellen Kernenergienutzung ein fünftes Indiz für seine nichtfriedlichen Absichten. Ein sechstes Indiz ist die anhaltende Konfrontation mit der internationalen nuklearen Community, vertreten durch die IAEA. Bei allen diplomatischen Finessen lässt die iranische Seite niemals Kompromissbereitschaft oder den Willen zu pragmatischen Problemlösungen erkennen. Schließlich gibt es für die Beurteilung eines beliebigen Atomprogramms ein bewährtes Kriterium: Wer ist zuständig, wo sitzen die Entscheider? Obwohl die administrativen Strukturen des Iran für Außenstehende schwer zu durchschauen sind, sind sich alle Beobachter darin einig, dass die Revolutionsgarden in der Atompolitik eine Hauptrolle spielen. Sie sind die militärische Elite des Regimes. Das ist das siebte Indiz.

Weiter als bis zu Indizien kommt man nicht, wenn man Proliferation untersucht. Letztlich schafft nur die Durchführung eines Atomtests (»smoking gun«) einen unbestreitbaren Beweis. Dann ist es jedoch zu spät, um die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu stoppen. Nach allem, was wir an gesichertem Wissen darüber sammeln können, ist das iranische Nuklearprogramm auf dem Stand, den es erreicht hat, zu 80 Prozent militärisch bestimmt. Der militärische Motor, der es vorantreibt, ist ungefähr viermal so stark wie die zivilen Antriebe.

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