20 Milliarden Euro, die im sozialen Sektor fehlen

Der Bau von Fußballstadien und Olympischen Sportstätten kostet Brasilien viel Geld - die Gewinne streichen die FIFA und das IOC ein

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 3 Min.
Brasilien hat bis 2016 viele Großereignisse zu stemmen. Dem Fußballweltverband und dem Internationalen Olympischen Komitee ist offiziell eine zufriedene Bevölkerung vor Ort wichtig, am Ende zählt jedoch die möglichst volle eigene Kasse.

20 Milliarden Euro. So viel werden die Großereignisse der kommenden drei Jahre Brasilien mindestens kosten. Nun gut, der Weltjugendtag mit Papstbesuch 2013 steckt auch drin, doch den Großteil jener Milliarden verschlingen sportliche Großereignisse: der gerade stattfindende Confederations Cup und die beiden größten Sportevents der Welt: die Fußball-WM 2014 und die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro.

Nicht alles bezahlt der Staat - für manches sind Sponsoren auch noch gut -, aber es bleibt viel an ihm hängen. Geld, das viele Brasilianer gern ins Bildungswesen und in den Gesundheitssektor gesteckt sähen. Die Proteste richten sich nicht nur gegen Fahrpreiserhöhungen im Nahverkehr oder Korruption, sondern auch dagegen, dass Menschen aus ihren Vierteln für sportliche Infrastrukturprojekte weichen müssen.

Bei der Ernennung Brasiliens zum Ausrichter der WM gab es keine Gegenkandidaten. Der Fußballweltverband FIFA wollte zum 100-jährigen Bestehen des brasilianischen Ablegers 2014 unbedingt zum Rekordweltmeister, und die meisten fußballenthusiastischen Brasilianer wollten auch die WM - die FIFA-Auflagen nicht, doch die hängen mit dran und sorgen für den FIFA-Verdienst. 2010 sprangen in Südafrika aus dem Verkauf von Fernseh- und Werberechten 2,6 Milliarden Euro Einnahmen für die FIFA heraus - steuerfrei. Eine Bedingung für die Austragung ist, dass die FIFA ihre Gewinne (2010 knapp eine halbe Milliarde Euro) abgabenfrei mit zum Hauptsitz in die Schweiz nehmen darf. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) macht das genauso. Und da durch den FIFA-Zuschlag 2007 ohnehin nützliche Stadien gebaut wurden, fiel die Wahl auf Rio zwei Jahre später leicht. Das Olympiastadion war auch schon da und trägt den Namen von João Havelange - jenem ehemaligen FIFA-Präsidenten, der Schmiergeld kassierte und deswegen die Ehrenpräsidentschaft niederlegen musste und aus dem IOC austrat.

Ein Olympiamuseum wird noch gebaut. Dafür wurde ein Indígena-Museum gewaltsam geräumt. Auch das Gelände des Olympischen Dorfes war zuvor kein Brachland. Bewohner eines dortigen Armutsviertels müssen sich eine andere Bleibe suchen. Einer Studie des »Protestkomitees WM und Olympia« zufolge sollen bereits 3099 Familien vertrieben worden sein. 7843 weiteren drohe dieses Schicksal.

IOC und FIFA seien die Zustimmung im Volk sehr wichtig, heißt es. Die derzeitigen Proteste stören FIFA-Präsident Joseph Blatter aber offenbar kaum. »Der Fußball ist stärker als die Unzufriedenheit der Menschen. Wenn der Ball einmal rollt, werden die Menschen das verstehen, und das wird aufhören«, sagt der Schweizer. Dumm nur, dass der Ball schon rollt, die Brasilianer aber offenbar trotzdem nicht aufhören.

Also kritisiert Blatter die Unzufriedenen: »Diese Personen nutzen die Plattform des Fußballs und die Anwesenheit der internationalen Presse.« Er mag damit nicht ganz falsch liegen, doch entzündet haben sich die Demonstrationen an Fahrpreisen, nicht an Blatters Anwesenheit. Im Übrigen beginnt am Freitag die U20-WM in der Türkei. Die dortige Jugend konnte wohl vor lauter Freude auf Blatter gar nicht mehr warten und hat schon mal ohne ihn angefangen.

Sieben von zwölf Stadien werden für die WM in Brasilien neu gebaut. FIFA und IOC verweisen bei aller Kritik an den Kosten auf den langfristigen Nutzen, auch wenn einige Stadien nach der WM leer stehen mögen. Investitionen in Verkehrsnetze würden ohne die Großereignisse nie oder erst Jahrzehnte später getätigt. Die FIFA verteilt sogar Zuschüsse in dreistelliger Millionenhöhe. Ohne die hätten die Südafrikaner sehr an ihrer WM zu leiden gehabt.

Im Gegenzug verlangt die FIFA Regierungsgarantien. Neben der Steuerfreiheit wird auch der Schutz von Sponsoren festgezurrt. Dafür hat Brasilien sogar das Alkoholverbot in den Stadien gekippt. Eine Biermarke zahlt viel Geld dafür, sich WM-Sponsor nennen zu dürfen. Also fließt der Alkohol für 12 Reais (rund 4,20 Euro) pro halbem Liter. Viel Geld für die meisten Brasilianer. Sepp Blatter bekommt seins sicher kostenlos.

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