Teure Hülle für alte Speere

Forschungs- und Erlebniszentrum paläon im niedersächsischen Schöningen eröffnet

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die ältesten erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit werden 19 Jahre nach ihrer Entdeckung in einem futuristischen Museumsneubau im niedersächsischen Schöningen ausgestellt. Wegen der Kosten - 15 Millionen Euro - hatte es im Vorfeld Kritik gegeben.

Wie ein Flughafen für Raumschiffe glitzert das paläon aus der Ferne. Der imposante, von einem Züricher Architekturbüro entworfene Bau beherbergt spektakuläre Funde aus der Altsteinzeit - die Schöninger Speere gelten als absolute archäologische Sensation. Gestern eröffnete Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor knapp 500 geladenen Gästen das Erlebnis- und Forschungszentrum im Kreis Helmstedt, heute öffnet das paläon seine Pforten auch für das breite Publikum.

Sieben Speere und eine Lanze aus Holz hatten Archäologen zwischen 1994 und 1998 im aufgegebenen Schöninger Braunkohletagebau aus der Erde gebuddelt. Außerdem fanden sie mehr als 10 000 Knochen von Wildpferden, Bären, Auerochsen, Waldelefanten, dazu weitere Speerbruchstücke sowie ein Wurfholz. Das Alter der - bis auf einen - aus Fichtenholz gefertigten und bis zu 2,50 Meter langen Speere wurde zunächst auf 400 000 Jahre geschätzt, inzwischen gehen Wissenschaftler von »nur« knapp 300 000 Jahren aus. So oder so sind die Speere die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Welt. Ihr Fund hat das Bild der kulturellen und sozialen Entwicklung des frühen Menschen revolutioniert. So konnte die früher weit verbreitete Forschungsmeinung widerlegt werden, wonach der Homo heidelbergensis - und übrigens auch noch der sehr viel jüngere Neandertaler - ein primitives, sprachloses Wesen war, das sich von Pflanzen und Aas ernährte.

Das unmittelbar am Rande des Tagebaus errichtete paläon präsentiert sechs der Speere in Vitrinen. Auf einer interaktiven Wand ist das Grabungsfeld zu sehen, bei sanftem Druck auf bestimmte Symbole leuchten die Fundstellen auf. Der russische Künstler Misha Shenbrot hat Tierfotos, eigene Bilder und grafische Elemente zu einer über 30 Meter breiten Collage montiert. Das Panorama zeigt die Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt von einer Eiszeit über eine Wärmeperiode bis zur nächsten Eiszeit. Am Fuß eines Gletschers sind Nashörner, Moschusochsen und Affenmenschen zu sehen. Von draußen beobachten vier mongolische Przewalski-Pferde das Eröffnungstreiben. Es handelt sich um die einzige Wildpferdeart, die bis heute überlebt hat. Die Weide der Tiere wurde unter anderem mit Birken bepflanzt und soll an die kaltzeitliche Steppenlandschaft von vor 300 000 Jahren erinnern.

Rund 15 Millionen Euro hat der Bau gekostet, das Land Niedersachsen finanzierte ihn aus dem Aufstockungsprogramm des Landes zum Konjunkturpaket II. Der Bund der Steuerzahler hatte das Projekt in der Vergangenheit als »Geldverschwendung« kritisiert. Und empfohlen, die Schöninger Speere in einem der großen Museen des Landes in Hannover oder Braunschweig auszustellen.

Die laufenden Kosten des paläon sollen über Eintrittsgelder erwirtschaftet werden. Mit rund 70 000 Besuchern pro Jahr rechnet der Vorsitzende des Fördervereins der Schöninger Speere, Wolf-Michael Schmid. Eine optimistische Schätzung, zumal das Erlebnis- und Forschungszentrum mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur sehr schlecht zu erreichen ist.

Ministerpräsident Weil griff den Streit um den Standort gestern nicht auf. Das paläon sei ein »einmaliges Projekt«, sagte er, die 15 Millionen eine gute Investition in die Zukunft. »Es ist eine Sensation, wenn 300 000 Jahre alte Spuren der Menschen gefunden wurden.«

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