Betonliebe trotz Krise

Wie milliardenschwere Verkehrsprojekte die Zukunft der EU aufs Spiel setzen

  • Michael Cramer
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist exzessives Sparen angesagt in der EU. In Griechenland werden die Renten gekürzt. Spanien will die regionalen Rechnungshöfe abschaffen und quetscht die Milliarden aus dem Bildungsbudget. Und die Staats- und Regierungschefs Europas haben durchgesetzt, dass der EU-Solidaritätsfonds für Naturkatastrophen um mehr als die Hälfte gestutzt wird.

Geht es nach den Propheten der Austerität, scheint der Rotstift gar nicht dick genug sein zu können. Doch die milliardenschweren Megaprojekte für die Transeuropäischen Verkehrsnetze werden bei der Streichorgie verschont. Zwar wurde das für Schienenstrecken, Wasserwege, Flughäfen und Straßen vorgesehene EU-Budget von 31 Milliarden Euro auf 23 Milliarden Euro gekürzt. Doch kein einziges Großprojekt ist gestrichen.

Während in anderen Bereichen des Budgets kein Stein auf dem anderen bleibt, wird die Liste von teuren Projekten für die Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-T) nicht angetastet. Sei es die Anbindung vom mit rund zehn Milliarden Euro zu Buche schlagenden Bahnhofsprojekt »Stuttgart 21« in Deutschland, das vom französischen Rechnungshof auf 26 Milliarden Euro geschätzte Vorhaben eines 57 Kilometer langen Tunnels zwischen Lyon und Turin oder der in immer fernere Zukunft rückende Brenner-Basistunnel in Österreich.

In den gerade abgeschlossenen Verhandlungen zu den TEN-T zwischen Europäischem Parlament und Ministerrat, bei denen ich die grüne Fraktion vertrat, wurde auf Drängen der Mitgliedsstaaten nicht einmal mehr die Liste der Projekte diskutiert. Selbst illegale Projekte, wie das Autobahnprojekt R 52 zwischen Tschechien und Österreich, sollen gefördert werden - obwohl der oberste tschechische Verwaltungsgerichtshof es bereits zwei Mal wegen Korruptionsfällen gestoppt hatte! Die Bauindustrie und die Banken triumphieren - zum Schaden der Steuerzahler, der Fahrgäste und der Umwelt.

Während bei den Megaprojekten Milliarden von Euro keine Rolle spielen, sollen kleine Beträge für realistische Projekte mit klarem Nutzen nicht vorhanden sein. So sind zum Beispiel die Schienenverbindungen zu unseren polnischen Nachbarn heute vielerorts schlechter als vor dem Zweiten Weltkrieg. Eine Fahrt in das damalige Breslau (heute Wroclaw) mit dem »Fliegenden Schlesier« dauerte zweieinhalb Stunden - heute sind es fünf.

Für die Elektrifizierung der fehlenden 30 Kilometer zwischen Berlin und Szczecin, der 50 Kilometer zwischen Cottbus und der polnischen Grenze oder der 40 Kilometer über die Karniner Brücke nach Swinoujscie (Swinemünde) braucht man insgesamt lediglich 300 Millionen Euro. Dafür fehlt angeblich das Geld. Dabei könnten auch viele Bahnunfälle verhindert werden, wenn die Mittel für das moderne europäische Zugsicherungssystem ERTMS nicht gestutzt würden.

Das Tabu der unantastbaren Großprojekte muss endlich gebrochen werden. Anstatt aus den Sozial-, Bildungs- und Umweltetats immer neue Einsparungen herauszupressen, müssen wir die Frage der Sinnhaftigkeit stellen. Es muss gelten: Kluge, zielgerichtete Investitionen vor Größenwahn! Schauen wir uns heute den europäischen Eisenbahnraum an, so blicken wir auf einen Flickenteppich, dessen Lücken exakt an den Grenzen zu finden sind. Europa muss zusammenwachsen und die Folgen der Kriegs- und Nachkriegszeit überwinden. Deshalb müssen Mitnahmeeffekte für rein nationale Projekte verhindert und die Priorität auf grenzüberschreitende Abschnitte gelegt werden. Nur dann wächst Europa zusammen. Genau dafür werden wir europäische Grüne uns bei den »Alternativen TEN-T-Tagen« stark machen, die wir dieses Wochenende in Innsbruck organisieren!

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