Dutzende Tote in Kairo
Blutige Zusammenstöße zwischen Mursi-Anhängern und dem Militär
Am Montagnachmittag ist die Lage rund um die Rabaa al-Adawiyah-Moschee in Kairo extrem gespannt: Mittlerweile suchen immer mehr Demonstranten die Konfrontation mit den Soldaten, die schwer bewaffnet nur wenige Meter entfernt Stellung bezogen haben. Das Militär versucht, Tränengas einzusetzen - das allerdings nicht funktioniert. Es ist zu heiß.
Die Situation in Nasr City, einem Stadtteil von Kairo, droht zu eskalieren, seit Soldaten in den Morgenstunden vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garden wenige hundert Meter von der Moschee entfernt, das Feuer auf eine Menschenmenge eröffneten, die, so die Polizei, versucht hatte, die Basis zu stürmen. Nach Angaben des Militärs hätten viele der Demonstranten Waffen dabei gehabt; Beobachter bestreiten diese Version. In der Anlage soll der abgesetzte Präsident Mohammed Mursi festgehalten worden sein. Ein Sprecher des Militärs erklärte allerdings, der internierte Politiker sei mittlerweile »zu seinem Schutz« an einen »geheimen Ort« verlegt worden.
Auch anderswo in Ägypten kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und dem Militär. Nach offiziellen Angaben vom Montag wurden seit Sonntag mindestens 80 Menschen getötet. Während überall in Ägypten Zehntausende für Mursi auf die Straße gingen, fanden sich auf dem Tahrir-Platz im Kairoer Stadtzentrum am Sonntagabend geschätzte 250 000 Menschen zu einer Großdemonstration gegen Mursi ein.
Militärführung und Präsidialamt sind derweil weiter auf der Suche nach einem neuen Regierungschef, der für so viele politische und gesellschaftliche Gruppierungen wie möglich akzeptabel ist. Der von der liberalen Tamarud-Bewegung favorisierte Mohammad el-Baradei ist nun aus dem Rennen, weil er von den islamischen Kräften im Land abgelehnt wird. Stattdessen hat das Büro von Übergangspräsident Adli Mansur den Wirtschaftsexperten Siad Bahaa Eldin ins Spiel gebracht. Der 48jährige, der für eine Reihe von internationalen Finanzinstitutionen gearbeitet hat, und würde damit die aktuell sehr geringen Chancen des Landes auf dringend benötigte Kredite erhöhen.
Doch auch er ist umstritten. Die ultraorthodoxe Nur-Partei lehnt ihn ab, weil er wie el-Ba᠆radei der Nationalen Heilsfront angehört, einem Parteienbündnis, dass der Tamarud-Bewegung nahe steht. Die Nur-Partei hatte sich vorige Woche auf die Seite der Proteste gegen Mursi gestellt; nun fordert sie im Gegenzug, dass der neue Regierungschef religiös sein soll. Das wiederum wird von Tamarud und Nationaler Heilsfront abgelehnt. Diesem Dilemma will man nun entkommen: Die Öffentlichkeit müsse sich von dem Gedanken lösen, dass der Premier für alle akzeptabel sein wird, heißt es in einer Pressemitteilung des Präsidialamtes.
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