»XKeyscore«: Linkenchef fordert Suspendierung der Chefs von BND und Verfassungsschutz

Deutsche Geheimdienste setzen US-Spähprogramm ein / NSA-Spionagewerkzeug »ermöglicht annähernd die digitale Totalüberwachung«

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Berlin (Agenturen/nd). Die Zusammenarbeit deutscher und US-amerikanischer Geheimdienste beim Ausspähen von Daten ist nach einem Bericht des »Spiegel« offenbar noch enger als bislang bekannt. Der deutsche Auslandsgeheimdienst BND und das im Inland operierende Bundesamt für Verfassungsschutz setzen eine Spähsoftware der amerikanischen NSA ein, schreibt das Nachrichtenmagazin. Dies gehe aus geheimen Unterlagen der National Security Agency (NSA) hervor, die das Magazin einsehen konnte.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz wurde den Dokumenten zufolge vor allem deshalb mit dem Programm namens »XKeyscore« ausgerüstet, »um dessen Fähigkeiten auszubauen, die NSA bei der gemeinsamen Terrorbekämpfung zu unterstützen«. Der Bundesnachrichtendienst solle den Inlandsgeheimdienst im Umgang damit unterweisen, heißt es in den Papieren.

Dem Bericht zufolge ist »XKeyscore« ein »ergiebiges Spionagewerkzeug und ermöglicht annähernd die digitale Totalüberwachung«. Ausgehend von Verbindungsdaten lasse sich damit unter anderem rückwirkend sichtbar machen, welche Stichworte Internetnutzer in Suchmaschinen eingegeben haben; auch sei das System in der Lage, vorübergehend alle Daten ungefiltert aufzunehmen - also zumindest teilweise auch die Inhalte der Kommunikation. Die NSA habe monatlich Zugriff auf rund 500 Millionen Datensätze aus der Bundesrepublik, im Dezember 2012 seien davon etwa 180 Millionen von »Xkeyscore« erfasst.

Wie der »Spiegel« weiter berichtet, habe sich die Kooperation deutscher Geheimdienste mit der NSA zuletzt intensiviert. US-Stellen hätten die deutschen Kollegen als »Schlüsselpartner« gepriesen und den »Eifer« des BND-Präsidenten Gerhard Schindler gelobt. »Der BND hat daran gearbeitet, die deutsche Regierung so zu beeinflussen, dass sie Datenschutzgesetze auf lange Sicht laxer auslegt, um größere Möglichkeiten für den Austausch von Geheimdienst-Informationen zu schaffen«, soll ein NSA-Mitarbeiter im Januar 2013 notiert haben.

BND und BfV wiesen den Bericht zurück. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sagte der Zeitung »Bild am Sonntag«, sein Amt teste eine von der NSA zur Verfügung gestellte Software, setzte sie »derzeit« aber nicht für seine Arbeit ein.» BND-Chef Schindler erklärte, es gebe keine «millionenfache monatliche Weitergabe von Daten aus Deutschland an die NSA» durch seinen Dienst.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte die Suspendierung Maaßens und Schindlers «bis zur vollständigen Klärung der Vorwürfe». Alles spreche dafür, dass die deutschen Geheimdienste die «systematische Aushebelung von Grundrechten» betrieben hätten. Auch die Klärung der politischen Verantwortung müsse ohne Ansehen der Person vorangetrieben werden. Im kommenden Bundestag werde seine Partei deshalb die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen, fügte Riexinger hinzu.

In Afghanistan, heißt es dem «Spiegel»-Bericht zufolge an anderer Stelle in den Papieren, sei der BND in Sachen Informationsbeschaffung sogar «fleißigster Partner». Auch auf persönlicher Ebene sei der Austausch eng: Erst Ende April, wenige Wochen vor Beginn der Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden, sei eine zwölfköpfige hochrangige BND-Delegation zu Gast bei der NSA gewesen. Sie habe dort diverse Spezialisten in Sachen «Datenbeschaffung» getroffen.

Wie das ZDF berichtet, hat der frühere NSA-Chef Michael Hayden erklärt, dass die US-amerikanischen und europäischen Geheimdienste seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sehr eng kooperiert und ihre Informationen in einem Pool-System gesammelt und geteilt haben. «Wir waren sehr klar darüber, was wir vorhatten in Bezug auf die Ziele, und wir baten sie um ihre Kooperation», sagte Hayden in einem ZDF-Interview.

Zu der Zeit nach den Anschlägen in den USA regierten in der Bundesrepublik SPD und Grüne. Beide Parteien verlangen in der aktuellen Debatte vehement Aufklärung. Der Juso-Vorsitzende Sascha Vogt erklärte, «entweder hat Merkel ihre Geheimdienste nicht im Griff oder sie belügt uns».

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe warf der Opposition dagegen Verlogenheit vor. Die Aussagen des früheren NSA-Chefs Hayden entlarvten «alle Attacken der Opposition auf die jetzige Bundesregierung als verantwortungslose Heuchelei und unverfrorene Doppelmoral», sagte er der dpa. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, es sei «jetzt klar», die «Intensivierung der Zusammenarbeit der Geheimdienste begann 2001 unter Rot-Grün».

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warf Merkel derweil noch einmal Hilflosigkeit und Untätigkeit vor. Es gehe um die einschneidendsten Grundrechtsverletzungen, die seit langem bekanntgeworden seien, sagte er am Samstag bei einem SPD-Landesparteitag in München. Merkel jedoch sage, sie wisse es nicht, es werde geprüft. «Es ist nicht unanständig, wenn man sie an ihren Amtseid erinnert, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.»

Der aktuelle NSA-Chef Keith Alexander bestäigte am Rande eines Sicherheitsforum in Aspen indirekt die Richtigkeit der Enthüllungen von Edward Snowden. «Jetzt wissen die Deutschen Bescheid», wird Alexander zitiert. «Wir sagen ihnen nicht alles, was wir machen oder wie wir es machen - aber jetzt wissen sie es».

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