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Bloß keine lebenden Toten sein

Die Schwimmer starten am Sonntag in die WM - ohne Druck vom neuen Bundestrainer Henning Lambertz

  • Lesedauer: 5 Min.
Für HENNING LAMBERTZ sind die Weltmeisterschaften in Barcelona das erste Großereignis als Chefbundestrainer des Deutschen Schwimmverbandes. Nach dem enttäuschenden Abschneiden bei den Olympischen Spielen 2012 in London erklärt der 42-Jährige im nd-Interview seine Veränderungen und kritisiert die Verbände ob seiner Vertragslage.

nd: Sie erleben in Barcelona Ihr erstes internationales Großereignis als Chefbundestrainer. Welche Botschaft der deutschen Schwimmer schwebt Ihnen für das Ende der Weltmeisterschaften vor?
Lambertz: Es klingt zwar banal, aber wenn wir in Barcelona eine hohe Freude ausstrahlen und diese auch nach außen transportieren, haben wir schon eine Menge richtig gemacht. Ich mache keine Medaillenvorgabe, sondern sage: Für mich ist die WM erfolgreich, wenn 70 Prozent unserer Schwimmer ihre Zeiten von den deutschen Meisterschaften hier verbessern.

Und wie steht’s mit der simplen Botschaft: Seht her, nach dem Olympia-Desaster von London lebt der deutsche Schwimmsport wieder ein bisschen?
Ja, aber das geht nicht, indem wir sagen: Der deutsche Schwimmsport lebt wieder, weil wir drei, vier, fünf Medaillen gewonnen haben. Sondern weil wir zeigen, dass wir an dem, was wir machen, viel Spaß haben. Und nicht herumlaufen wie ein paar lebende Tote.

Einer Ihrer zentralen Kritikpunkte beim Amtsantritt war, dass sich beim DSV in den vergangenen Jahren alles auf die Vorzeigeschwimmer Britta Steffen und Paul Biedermann konzentrierte.
Die beiden Großen haben sich das erarbeitet und standen zu Recht da oben. Aber jetzt können es eben auch mal andere werden. Der Fokus wird zu großen Teilen sicher wieder auf Britta Steffen liegen, das ist aber vollkommen okay. Trotzdem ist diese Phalanx der zwei jetzt ein wenig durchbrochen worden. Und wir können darauf hoffen, dass sich Leute wie Steffen Deibler, der gute Chancen hat, auf sich aufmerksam zu machen, in die erste Reihe stellen.

Bei den deutschen Schwimmern war es bei den letzten Großereignissen meist so: Vorher bestens in Form - und dann abgestürzt. Können Sie sich dieses Phänomen erklären?
Wir sind in einem Prozess, der alle Beteiligten fordert und ihnen die Größe abverlangt, auch mal nach vorne zu blicken. Ich sage: Die WM 2011 in Schanghai ist in die Hose gegangen, London ist in die Hose gegangen - interessiert mich aber alles gar nicht. Man muss Dinge ändern, und das haben wir getan. Jeder Heimtrainer hat jetzt einen größeren Handlungsspielraum. Gleichzeitig habe ich Angebote gemacht, keine Pflichtmaßnahmen wie früher. Zum Beispiel die Mare Nostrum Tour als eine große Wettkampftour. Das war ein Angebot, das sehr fluktuativ genutzt werden konnte. Und dabei galt: Jeder durfte, keiner musste.

Welcher Gedanke steckt hinter dieser neuen Freiheit?
Deutsche Schwimmer sind bei den nationalen Meisterschaften zuletzt oft tolle Zeiten geschwommen und bei den großen internationalen Wettkämpfen meist früh ausgeschieden. Wenn die Heimtrainer also offensichtlich in der Lage sind, ihre Sportler auf einen Punkt im Jahr hin topfit zu machen, warum nehmen wir ihnen dieses Recht auf die unmittelbare Wettkampfvorbereitung aus der Hand? Das ist mein Grundgedanke. Außerdem möchte ich, dass ein Umdenken stattfindet, dass die Leute nicht immer negativ in bestimmte Maßnahmen reingehen. Sondern dass sie sagen: Die Vergangenheit ist abgehakt, wir sind in einem neuen Olympiazyklus, wir fangen ganz frisch an.

Sie setzen auf Entspannung und Selbstbestimmung. Als langjähriger Heimtrainer kennen Sie Ärger und Nöte der Kollegen ja auch besonders gut.
Genau so ist es. Aber bei dem Weg, den wir jetzt beschritten haben, möchte ich am Ende auch die Ehrlichkeit meiner Heimtrainer haben, die sagen: Okay, wenn das Ding nicht funktioniert, müssen wir uns zu großen Teilen selbst an die Nasen fassen. Dann muss man die Dinge, die nicht geklappt haben, gemeinsam ausräumen. Wenn wir so Stück für Stück und Jahr für Jahr weitergehen, bin ich sehr guten Mutes, dass wir in drei Jahren, bei den Olympischen Spielen in Rio, genau wissen, was wir richtig machen müssen.

Viele Pfeile haben Sie zum Einstieg nicht gerade im Köcher.
Das ist jetzt einfach so, das muss ich akzeptieren. Wir müssen eben zusehen, dass möglichst schnell wieder viele reinkommen, damit uns die Munition nicht schon auf halbem Weg ausgeht.

Sie wollten als Chefbundestrainer einen Vertrag über acht Jahre - und haben vier Jahre plus Option für weitere vier Jahre bekommen. Mussten Sie arg mit sich ringen, um diese Kröte zu schlucken?
Zuerst schon, natürlich. Denn es ist einfach so, das ich mit einem Konzept angetreten bin, das auf acht Jahre ausgerichtet war. Und von dem ich genau weiß, dass es erst zur Mitte, also 2016, greifen kann. Wenn ich dann weiß, dass es möglicherweise nicht zum Ende kommt, ist das für mich nicht glücklich. Aber es wäre für den, der 2016 gegebenenfalls nach mir käme, auch nicht glücklich - weil er in einen laufenden Prozess eindringt und anfängt, seine eigenen Ideen einzubringen. Ich glaube, so kommt man nicht besonders weit.

Sie befürchten, dass der DSV einfach weiter auf der Stelle tritt?
Ich will einfach nicht, dass man jedes Mal von Olympia-Zyklus zu Olympia-Zyklus stolpert und alles nur auf die bewährten Pferdchen setzt. Denn wir dürfen auch nicht vergessen: Britta Steffen wird im November 30 Jahre alt. Wer will und kann es ihr da verübeln, wenn sie irgendwann im nächsten Jahr sagt: Es macht mir einfach keinen Spaß mehr, ich hör’ jetzt auf. Aber ich habe andererseits auch verstanden, dass der DOSB sagt: Wir geben grundsätzlich nur Verträge für vier Jahre raus, egal für wen.

Interview: Andreas Morbach

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