Kontra dem Hammel, Zucker dem Affen

Mit unwiderstehlicher Lachlust: der chinesische Künstler Yongbo Zhao in der Zitadelle Spandau

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 3 Min.

Gibt es eine politische Malerei? Mit sich an gewisse Beispiele erinnerndem Zorn sagen die einen: Keinesfalls! Denn Politik töte Kunst, und Kunst könne nur leben ohne Politik. Die anderen werfen ihr »Warum eigentlich nicht?« in die Debatte, und stellen mit Schadenfreude fest, ja, der Malerei ist nichts Menschliches fremd. Allen Warnungen zum Trotz greift sie immer wieder gesellschaftliche Grundsituationen auf. Sie wagt es, diese in politischen Bildsujets in Frage zu stellen. In glücklichen Fällen führt sie diese auf groteske Weise gar ad absurdum.

Nun erkundet die westliche Kunstszene inzwischen am liebsten das Terrain jenseits konkreter Menschenprobleme. Auf der Jagd nach immer neuen Sensationen sehen ihre Vertreter(innen) oft den Welt-Wald nicht mehr vor lauter Boom-Bäumen. Die übrige Welt wagt es, oft anderer Ansicht zu sein. Beispiel: Yongbo Zhao, ein heute international agierender »Exot« aus abgelegener chinesischer Provinz, der europäische Tradition von Peinture und Akkuratesse in sich aufgenommen hat und sie mittlerweile virtuos beherrscht, verfremdet diese nun eigenwillig. Was kann im günstigsten Fall Globalisierung bringen? Das Eigene in Beziehung zum Anderen setzen und daraus geistvolle Funken schlagen.

Und Yongbo Zhao vermag das so, dass es knistert und zündet. 1964 in der Kleinstadt Hailong in der nordchinesischen Provinz Jilin als Sohn des Schulrektors geboren, und frühzeitig als manisch ironischer Zeichner entdeckt, kommt er zunächst über das Studium der Malerei in der Provinzhauptstadt Changchun nicht hinaus. Erst nachdem er im Jahr 1991 mit Kollegen zusammen in Ankara ausgestellt hatte und dabei erstmalig international bekannt wurde, wagt er sich aus der Reserve. Vom Verkaufserlös eines Bildes besteigt er die Transsibirische Eisenbahn und fährt gleich über Moskau bis nach München.

Der Chinese hat, ohne ein Wort Deutsch zu beherrschen, an der Kunstakademie keine Chance. So kopiert er kurzentschlossen reihenweise Alte Meister - bis ihn Fluxus-Professor Robin Page entdeckt und in seine Malklasse aufnimmt. Es ist zum Staunen: Yongbo Zhao gibt ja mit unwiderstehlicher Lachlust ständig seinem Affen Zucker! Hammel, Puter und Kröten kreuzt er mit dem Zeitgenossen Mensch. Stellt sich und seine Familie tatsächlich als gigantische Schafsköpfe aus. Atemberaubend perfekt malt er alles Organische quer durch Tier-und-Menschen-Welt und gibt allem einen tiefen Sinn. Aus Fernost hungrig nach Westen gekommen, beißt er förmlich wild um sich. Den Maoismus hat er hinter sich gelassen. Hat er den Katholizismus nun vor sich? Ja, als ätzend zu verspottendes Modell.

Zitadelle Spandau. Bastion Kronprinz. Hoch wölben sich die rohen roten Ziegelmauern über den voluminösen Ölbildern Zhaos. Schön gemalt. Quer gedacht. Wahr empfunden. Maßlos übersteigert. Schamlos entblößt. Die Zivilisation ist entblättert. Viehische Mäuler fletschen die Zähne. Sprechende Bildtitel: »Glaube macht stark« - haha. »Mutter Erde - ausgesaugt« - die Gier zeigt Flagge. »Macht - niemand traut sich, außer einem« - einer bietet ihr die Stirn.

»Bayrische Leidenschaft« - im Bierzelt entfesselt. »Wir sind das Volk« - der Freiheit welche Gasse? Sehr deutsch das alles. Chinesisch gesehen. »Goya verfolgt« - der Meister gespenstischer Visionen, vom Schüler bedauert. Radierungen in Aquatinta zu einigen Bildsujets betonen die Nähe zum großen spanischen Vorbild. Andere Anklänge weisen zu A. Paul Weber und Johannes Grützke.

Manch eine zufällig als Zitadelle-Besucherin hierher verschlagene zartbesaitete ältere Dame mag schockiert all dem schnell den Rücken kehren. »Kaffeekränzchen«, dem Bild dreier touristischer weiblicher Vogelscheuchen mit Törtchentellerchen unter den Fingern, flankiert von einer Halde von Knochen, kann dann der letzte entsetzte Blick gelten. Ja, zugegeben, sehr drastisch kommen diese toll gemalten fleischlichen Exzesse daher. Doch warum soll die schonungslose Entkleidung moderner gesellschaftlicher Normvorstellungen Film und Theater vorbehalten bleiben? Haut, in Öl gemalt, bei Yongbo Zhao weist sie ins Reich der Kriechtiere. Und über dieses sind wir doch erhaben.

Yongbo Zhao - Nicht nur schön. Zitadelle Spandau, Bastion Kronprinz, Berlin-Spandau, Am Juliusturm 64, täglich 10-17 Uhr, bis 15. September

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