Die Welt muss genügsamer werden

Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts, über Grenzen des Wachstums

  • Lesedauer: 3 Min.
Der Ökonom Prof. Dr. Uwe Schneidewind ist Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Im November erscheint sein gemeinsam mit Angelika Zahrnt verfasstes Buch »Damit gutes Leben einfacher wird«. Zu Alternativen zur umweltzerstörenden Wirtschaftsweise von heute befragte ihn Steffen Schmidt.

nd: Nach Berechnungen des US-amerikanischen »Global Footprint Network« haben wir schon jetzt die für das Jahr 2013 verfügbaren erneuerbaren Ressourcen der Erde aufgebraucht. Wissen wir überhaupt genug über das System Erde, um das berechnen zu können?
Schneidewind: Ich glaube, da sind wir in den letzten Jahren in der globalen Umweltforschung schon sehr weit gekommen. Es gibt beispielsweise die Untersuchung des schwedischen Wissenschaftlers Johan Rockström, unter dessen Leitung eine Gruppe von 28 weltweit führenden Umweltforschern versucht hat, für neun Bereiche die Grenzen der globalen Umweltbelastbarkeit zu ermitteln. Sieben Bereiche konnten quantifiziert werden, in drei von ihnen sind die Belastungsgrenzen des globalen Ökosystem bereits überschritten, so beim Klimawandel, bei der Biodiversität, zum Teil auch bei der Überversorgung ökologischer Systeme mit Nährstoffen. In anderen Bereichen ist es noch schwer, die Umschlagpunkte zu bestimmen. Insofern stützt sich das »Global Footprint Network« auf Ergebnisse der Umweltforschung.

Die Folgen des Raubbaus an der Natur sind vielerorts sichtbar. Gibt es denn Zeichen für Umdenken?
Der ökonomische und politische Mainstream stimmt nicht sehr optimistisch. Aber wenn man sich in der Welt umschaut, dann sieht man schon eine steigende Sensibilität für das Problem. Nehmen Sie nur die Verlautbarungen der chinesischen Regierung. Die sieht offenbar klar, dass China heute nicht nur einer der Hauptverursacher globaler Umweltprobleme ist, sondern auch einer der Hauptbetroffenen. Diese Einsicht schlägt sich zunehmend in der chinesischen Politik nieder. Oder Deutschland, wo trotz aller Unkenrufe die Akzeptanz für die Energiewende in der Bevölkerung sehr hoch ist. Und selbst in den USA gibt es Beispiele fortschrittlicher Gesetzgebung in einzelnen Bundesstaaten. Man sollte also die Hoffnung nicht aufgeben.

Lange setzte man auf effizientere Ressourcennutzung, etwa das Faktor-5-Konzept von Ernst Ulrich von Weizsäcker. Reicht das?
Es ist eine wichtige Erkenntnis der letzten zehn, 15 Jahre, dass Effizienzsteigerung allein nicht reicht. Neben Effizienz brauchen wir auch neue Wohlstandsmodelle, neue Lebensstile. Die Frage, wie wir Lebensqualität auch bei begrenzterem Wirtschaftswachstum hinbekommen, ist ganz wichtig. Die künftige Welt wird effizienter sein, aber sie muss eben auch, wie wir das so nennen, suffizienter sein, genügsamer als heute.

Mancher fordert deshalb generellen Verzicht auf Wirtschaftswachstum. Doch wie sollten Entwicklungs- und Schwellenländer ohne Wachstum verheerende soziale Verwerfungen vermeiden?
Wenn wir heute über eine Postwachstumswirtschaft reden, dann ist das erst mal ein Thema für die Industrieländer. Denn da haben wir heute ein Wohlstandsniveau erreicht, wo gutes Leben und hohe Lebensqualität auch ohne weiteres Wachstum möglich wären. Und ich glaube, nur wenn wir Modelle entwickeln, bei denen Wohlstand zunehmend entkoppelt wird vom materiellen Wachstum, dann kann man das auch in die internationale Diskussion bringen.

Ländern, die erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung stehen, kann man Wachstum nicht vorenthalten. Unsere Aufgabe sollte es aber sein, alternative Entwicklungspfade aufzuzeigen, und ich bin überzeugt, da steckt viel Potenzial drin. Wir wissen aus ökonomischen Untersuchungen, dass ab rund 10 000 Dollar Bruttosozialprodukt pro Kopf Zufriedenheit und Lebensqualität einer Bevölkerung kaum noch durch weiteres materielles Wachstum gemehrt werden. Das heißt, alle Volkswirtschaften, die unter dieser Schwelle sind, werden noch wachsen müssen.

Ein Wachstumsstopp dürfte aber auch in Industrieländern soziale Spannungen verschärfen. Müsste damit nicht eine Umverteilung des vorhandenen Reichtums einhergehen?
Die Verteilungsfrage ist ganz wichtig. Je ungleicher Gesellschaften werden, desto mehr verändern sich auch objektive Lebensqualitätsfaktoren: die Kriminalitätsrate, das Sicherheitsgefühl, Teenagerschwangerschaften, die Zahl derjenigen, die in Gefängnissen sitzen. Das hängt im Wesentlichen davon ab, wie ungleich die Verteilung in dem Land ist. Und daher ist die zunehmende Ungleichverteilung, die wir in vielen Industrieländern in den letzten Jahren beobachten, Sprengstoff für die Lebensqualität.

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