»Guardian«: Britische Regierung zwang uns zur Löschung von Snowden-Material

»Einer der bizarrsten Momente«: Zerstörung von Disketten unter Aufsicht von Geheimdienstmitarbeitern im Keller des Zeitungsgebäudes

  • Lesedauer: 4 Min.

London (Agenturen/nd). Nach der Veröffentlichung von ersten Artikeln über das gigantische US-Spähprogramm ist die britische Tageszeitung »The Guardian« nach eigenen Angaben von der Regierung in London zur Löschung von Datensätzen gezwungen worden. Im Falle der Nichtbefolgung der Anweisung sei mit juristischen Konsequenzen gedroht worden, schrieb Herausgeber Alan Rusbridger in der Dienstagsausgabe der Zeitung. Letztlich seien daraufhin in der Redaktion Datenträger im Beisein von Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes zerstört worden.

Mitten in der Arbeit der Redaktion an den Dokumenten des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden sei er von »einem sehr hochrangigen Regierungsvertreter, der angab, die Meinung des Premierministers zu vertreten,« kontaktiert worden, schrieb Rusbridger. Daraufhin habe es zwei Treffen gegeben, in denen »er die Herausgabe oder Zerstörung von allem Material forderte, an dem wir arbeiten«. Später seien weitere Mitarbeiter aus dem Regierungsapparat aufgetaucht. Die Botschaft an ihn sei immer die gleiche gewesen: »Gebt das Material von Snowden zurück oder zerstört es.«

Die Regierung habe mit juristischen Konsequenzen gedroht, sollten die Daten nicht zerstört werden, schrieb Rusbridger. »Und so kam es letztlich zu einem der bizarrsten Momente in der langen Geschichte des ›Guardian‹.« Unter Aufsicht von zwei Experten des britischen Geheimdienstes seien im Keller des Zeitungsgebäudes Datendisketten zerstört worden.

Der Bericht von Rusbridger erfolgte nur zwei Tage, nachdem der Lebensgefährte des für den »Guardian« arbeitenden US-Journalisten und Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald neun Stunden lang von der britischen Polizei festgehalten worden war. David Miranda wurde auf Grundlage von Anti-Terror-Gesetzen auf dem Flughafen London-Heathrow befragt, er war auf der Durchreise von Berlin nach Rio de Janeiro.

Greenwald berichtet im »Guardian« immer wieder über die gigantischen Spähprogramme des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA). Er stützt sich bei seinen Enthüllungen auf Dokumente des US-Computerexperten Snowden, der als Auftragnehmer für die NSA gearbeitet hatte und von den USA wegen Geheimnisverrats gesucht wird. Snowden hält sich in Russland an einem geheimen Ort auf.

Brasilien verlangt eine Erklärung Großbritanniens für das Vorgehen gegen David Miranda. Außenminister Antonio Patriota kündigte an, er werde mit seinem britischen Kollegen William Hague darüber sprechen. Greenwald steht wegen seiner Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienstenthüller Snowden im Fokus.

Die US-Regierung, die Snowden wegen seiner Enthüllungen der Spähprogramme der amerikanischen und britischen Nachrichtendienste vor Gericht stellen möchte, wies jegliche Beteiligung an dem Vorfall in London von sich. »Die Vereinigten Staaten sind (...) nicht involviert«, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, am Montag in Washington.

Brasiliens Außenminister Patriota erklärte, die zeitweilige Festnahme Mirandas sei ungerechtfertigt gewesen. »Ich erwarte, dass es nicht wieder geschieht«, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur ABR. »Wir erleben weiterhin einige Exzesse und Irrwege in der Frage des Kampfes gegen den Terrorismus«, fügte er hinzu. Dieser Kampf müsse aber auf den Grundsätzen des Multilateralismus, des internationalen Rechts und der Rationalität basieren.

Miranda hatte am Montag bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Río de Janeiro die brasilianische Regierung aufgefordert, gegen seine Festnahme auf dem Londoner Flughafen zu reagieren. »Ich erwarte, dass die brasilianische Regierung etwas unternimmt, denn die Leute wissen nicht, was wirklich geschieht«, erklärte er laut einem Bericht der Zeitung »Folha de São Paulo«.

Der 28-jährige Marketing-Student war am Sonntag in London von britischen Sicherheitsagenten fast neun Stunden verhört worden. Er durfte keinen Anwalt hinzuziehen. Die Briten beriefen sich dabei auf ein Anti-Terror-Gesetz, das eine Festnahme ohne richterliche Anordnung und ohne Recht auf juristischen Beistand ermöglicht.

»Ich wurde in einem Zimmer gehalten, in dem (Scotland-Yard-) Agenten ein- und ausgingen, um sich bei der Befragung abzuwechseln«, sagte er. Sie hätten ihn über sein ganzes Leben ausgefragt und ihm Computer, Handy und den Fotoapparat weggenommen. Der Brasilianer ergänzte, er sei weder bedroht noch aggressiv behandelt worden.

In Río de Janeiro wurde Miranda von Greenwald auf dem Flughafen Tim Jobim (Galeão) empfangen. Er hatte in London nur eine Zwischenlandung auf dem Heimflug aus Berlin gemacht, wo er eine Journalistin der britischen Zeitung »The Guardian« getroffen hatte. Greenwald bezeichnete den Vorfall als »Einschüchterung der Presse«. Er werde mit »noch aggressiveren« Berichten antworten.

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