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Kuscheln mit Matthias Sammer?

MEDIENinterview: 50 Jahre »Aktuelles Sportstudio« im ZDF

  • Lesedauer: 6 Min.
Dass das »Aktuelle Sportstudio« des ZDF am 24. August 1963 zum ersten Mal im Fernsehen lief, ist kein Zufall. Zeitgleich startete die Fußball-Bundesliga in ihre erste Saison. Zum Sportstudio gehören Namen wie Harry Valerien, Wim Thoelke oder Sissy de Maas. Die Samstagabend ausgestrahlte Sendung war durchaus nicht nur Bühne für Sportler, die auf die legendäre Torwand schießen durften. TV- und Kulturgrößen wie Hanns Joachim Friedrichs oder der Kabarettist Werner Schneyder brachten intellektuelles Flair in die Sendung. Seit 2011 moderiert Sven Voss (37) das »Aktuelle Sportstudio«. Mehr als doppelt so alt ist Dieter Kürten (78), der von 1967 bis 2000 durch die Sendung führte und damit der alleinige Rekordhalter unter allen Moderatoren ist. Jan Freitag fragte die beiden u.a. danach, ob der Vorwurf des Gefälligkeitsjournalismus sie trifft.

nd: Herr Kürten, Herr Voss, wenn man sie in die aktive Zeit des jeweils anderen beamen könnte - würden Sie im Format dort funktionieren?

Dieter Kürten: Sicher, aber ob das sinnvoll wäre? Wie gefällig Moderatoren sind, ist ja keine Zeit-, sondern eine Typfrage. Ich werde heute auf der Straße angesprochen, ob ich’s noch mal machen würde, aber grundsätzlich funktioniert jeder durch das, was ihn kennzeichnet. Sven Voss: Ich hätte als großer Fan der Sixties jedenfalls große Lust auf Dieters Zeit. Wegen der Freiheiten, mehr aber noch der großen Aufmerksamkeit für die Sendung, deren Inhalte seinerzeit enorme Relevanz hatten. Heute müssen wir um Aufmerksamkeit weit mehr kämpfen.

Kürten: Schließlich ist Sport sogar Teil von Formaten, die ihn zu meiner Zeit nur mit spitzen Fingern angefasst hat. Die Tagesschau zum Beispiel zeigt oft minutenlang Fußball. Schon das macht beide Zeiten schwer vergleichbar.

Aber gab und gibt es denn eine Art Sound, der das Sportstudio in 50 Jahren kennzeichnet und von anderen Sendungen unterscheidet?

Voss: Geprägt hat das Sportstudio in jedem Fall, dass es Gäste hat, denen man sich eine Viertelstunde, also länger als in jeder anderen Sportsendung, auch persönlich nähern kann.

Kürten: Wobei Sven heute den Vorteil hat, sich voll auf einen Gast zu konzentrieren. Bei mir waren es schon mal fünf, gar sieben. Es wird bei aller Kritik selten deutlich, wie schwer es ist, sich innerhalb enger Zeitrahmen einem Menschen wirklich zu nähern.

Voss: Zum Glück gab es zu deiner Zeit noch kein Twitter oder Facebook. Da kommt diese Art Kritik nämlich in Echtzeit. Und sicher nicht immer nur konstruktive.

Empfinden Sie die Kritik als konstruktiv, das »Aktuelle Sportstudio« betreibe Gefälligkeitsjournalismus, der die Befragten kaum noch mit harten Fragen konfrontiert?

Kürten: Konstruktiv vielleicht, aber nicht fair.

Voss: Unseren Gast nicht gleich mit der ersten Frage zu beleidigen, erscheint einigen Kritikern bereits als Kuscheljournalismus. Aber wen ich einlade, lass ich doch nicht als erstes auflaufen! Wenn ich lese, wie die Süddeutsche mein Interview mit Matthias Sammer kritisiert, das vielfach gelobt wurde, klingt das ein bisschen nach Sportstudio-Bashing.

Kürten: Was auch damit zu tun hat, dass Zeitungsjournalisten sich Fernsehjournalisten unterlegen fühlen, weil wir in der Pressekonferenz wegen der Zeitnot oft die ersten Fragen haben.

Voss: Dennoch gibt es da keine Hierarchie. Höchstens eine, die dadurch entsteht, dass wir viel Geld für unsere Bewegtbilder zahlen; damit erkaufen wir uns gewissermaßen einen Vorteil. Ob und wie wir mit Matthias Sammer reden, hat damit allerdings herzlich wenig zu tun.

Kürten: Und wenn der Sammer nichts sagen will, sagt der nichts und kriegt dafür auch noch Beifall. Das ist einfach einer der schwierigsten Gäste im Geschäft und er weiß sehr gut, dass es durchaus gut ankommt, es dem Moderator mal zu zeigen.

Voss: Trotzdem hat das Spaß gemacht, denn selbst wenn ein Sammer nichts sagt, ist es unterhaltsam, wie er das tut. Er hat zwar noch während der Sendung gesagt, wie clever ich fragen würde, aber dennoch geschwiegen. Da hilft auch keine Härte.

Kürten: Aber auch bei so einem kriegt man mehr raus, wenn man zunächst freundlich ist, also auf Umwegen, statt frontal vor die Stirn. Man muss sich ranschleichen, ohne das Vertrauen aufs Spiel zu setzen. Dieses direkte Fertigmachen kann ich ohnehin nicht leiden.

Voss: Zumal da die Unterstellung mitschwingt, wir würden uns für total fehlerlos halten. Nichts rauszukriegen, ärgert uns maßlos, denn keiner will sich einen gemütlichen Abend mit harmlosen Gästen machen. Und man muss auch mal aufpassen, die Vergangenheit nicht zu verklären. Auch Dieter hat Interviews ohne harte Fragen gestellt.

Wollen die Zuschauer Samstagnacht womöglich auch gar keine Streitereien, sondern schicke Tore sehen?

Kürten: Früher auf jeden Fall. Zu meiner Zeit wurde die gesellschaftliche Relevanz des Fußballs auf seinen Freizeitcharakter reduziert, während er heute ein Milliardengeschäft ist und Abermillionen fesselt. Heute läuft das Frauenländerspiel Deutschland-Island im Hauptabendprogramm.

Voss: ... vor rund sieben Millionen Zuschauern ...

Kürten: ... und das sind kaum weniger als das Sportstudio zu Spitzenzeiten hatte. Aber die Zuschauer wollten vor allem Spaß haben. Gesellschaftsfähigkeit kam später.

Tat Ihnen das in der Sportreporterseele weh?

Kürten: Nein, denn ich hatte nie einen Zweifel dran, dass das kommen würde. Mich hat es nur geärgert, wenn unser Genre im eigenen Haus schlecht behandelt wurde.

Voss: Ich habe es oft genug erlebt, dass ein paar Millionen Zuschauer zufrieden waren, aber das ZDF zerfleischt die Sendung. Kritisieren und kritisiert werden gehört allerdings auch ein bisschen zum Spiel dazu und glauben Sie mir: Ich schlafe deshalb nicht schlechter.

Kürten: Selbstbewusst sein darf man schon und an seine Stärken glauben. Ich kann mich jedenfalls vor allem an die guten Momente im Sportstudio erinnern.

Was waren denn da Ihre schönsten?

Voss: Mein schönstes Streitgespräch war seltsamerweise das mit Sammer. Diese Mischung aus Unterhaltung und Ernsthaftigkeit war toll. Es gab auch mal eine Diskussion mit Fanvertretern, Psychologen, einem Vertreter der Deutschen Fußball Liga zum Thema Gewalt in den Stadien. Das war nicht steuerbar, deshalb war ich darin genau das, was mein Beruf ist: Moderator.

Kürten: Schön waren natürlich immer die Pannen. Die Sache mit der Perücke zum Beispiel, die ein Affe Johnny Weissmüllers Frau vom Kopf gerissen hat.

Voss: Oder als mal in deiner Sendung nichts funktionierte, weshalb du dem Regisseur im Off irgendwann gedroht hast. Toll. Als bei uns nach dem Champions-League-Finale alles drunter und drüber ging, hab ich gedacht - Mann, der Dieter würde das jetzt charmant rumreißen.

Kürten: Wim Thoelke hat ab und zu kleine Pannen inszeniert, da so was manchmal spannender ist als Virtuosität. Daher kann ich mich auch mehr an die emotionalen Momente erinnern als an Streitgespräche. Als mir Giovanni Trapattoni nach seinem letzten Bayern-Spiel um den Hals fiel, als ich sagte, wie sehr er der Bundesliga fehlen würde.

Klingt kuscheljournalistisch.

Kürten: Nein, ergreifend. Für mich, für ihn, für die Zuschauer, für alle, schön. Schöner jedenfalls als Kritik um der Kritik Willen.

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