Wie kommt Gott ins Gehirn?

»Neurotheologen« erforschen die biologischen Grundlagen des Glaubens

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin war im April 1961 der erste Mensch, der ins Weltall flog. Er habe viel Schönes im Orbit gesehen, erklärte er nach seiner Rückkehr, nur einem sei er dort nicht begegnet: Gott. Doch wo, wenn nicht im Himmel, befindet sich der allmächtige Erdenschöpfer, an dessen Existenz Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt glauben? Wissenschaftler geben auf diese Frage nun eine ernüchternde Antwort: Gott steckt in unseren Erbanlagen. Spiritualität sei schlicht »ein biologischer Mechanismus wie der Vogelgesang, nur weitaus komplexer«, meint der amerikanische Molekularbiologe Dean Hamer, dessen Buch »The God Gene« in den USA derzeit für viel Aufregung sorgt. Darin beschreibt der Forscher, wie Gene die Fähigkeit unseres Gehirns beeinflussen, verschiedene Formen des Bewusstseins hervorzubringen. Dazu gehört auch das spirituelle Bewusstsein, welches bei manchen Menschen stärker, bei anderen schwächer ausgeprägt ist, je nach genetischer Disposition. Hamer stellte nämlich fest, dass Personen, die in ihren Erbanlagen eine bestimmte Variante des VMAT2-Gens tragen, besonders anfällig sind für spirituelle Erlebnisse. Nachweislich steuert dieses Gen die Produktion von Hirnbotenstoffen wie Dopamin, Serotonin oder Noradrenalin, die wiederum zu veränderten Bewusstseinszuständen führen können. Der Mensch werde durch seine biologische Ausstattung zum Glauben geradezu verführt, urteilt Hamer: »Allerdings bestimmen weder die Gene noch die Hormone, was und woran wir im Einzelfall glauben.« Entscheidend hierfür seien ausschließlich individuelle und kulturelle Erfahrungen. Auch wenn Hamers Theorie keineswegs als gesichert gilt, ist eines unleugbar: Der Mensch glaubt mit dem Gehirn, welches darauf programmiert ist, die Welt zu deuten und den Sinn des Lebens zu ergründen. Die daraus früh entsprungene Hoffnung auf das gütige Wirken höherer Schicksalsmächte bescherte unseren Vorfahren offenkundig einen Evolutionsvorteil. Ansonsten wäre das menschliche Bedürfnis nach Spiritualität längst »ausgestorben«. Anthropologen vermuten, dass die Verheißung eines jenseitigen Glücks vielen Gläubigen nicht nur Trost, sondern auch die Kraft verlieh, das irdische Leben besser zu bewältigen. Zudem war der Glaube schon in frühgeschichtlicher Zeit ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor. Denn Menschen, die überzeugend vorgaben, mit göttlichen Wesen im Bunde zu stehen, kamen leichter in Führungspositionen und sicherten sich somit einen besseren Zugriff auf die Ressourcen. Wie aber gelangt der Gottglaube ins Gehirn? Diese Frage ist Gegenstand einer neuen Wissenschaftsdisziplin, die etwas pathetisch Neurotheologie genannt wird und deren Grundthese lautet: Im Gehirn des Menschen gibt es spezielle Areale, die das neuronale Korrelat für religiöse Erfahrungen darstellen. Namentlich die Schläfenlappen der Hirnrinde stehen im Verdacht, das Gottes-Areal zu beherbergen. Tatsächlich berichten Epileptiker, bei denen die Schläfenlappen eine extrem übersteigerte Nervenaktivität zeigen, von merkwürdigen spirituellen Visionen. So gesehen könnte auch die legendäre Bekehrung des Christenverfolgers Saulus zum Apostel Paulus, falls sie denn stattgefunden hat, die Folge eines epileptischen Anfalls gewesen sein. Denn in der Bibel steht, dass Saulus sich dabei in helles Licht getaucht sah und eine himmlische Stimme vernahm, die ihn zur Umkehr veranlasste. Doch nicht nur Epileptiker sind spirituell begabt. In einem Experiment reizte der kanadische Neurologe Michael Persinger die Hirnrinde von mehr als 1000 gesunden Frauen und Männern mit einem schwachen Magnetfeld. Weit mehr als drei Viertel aller Probanden fühlten sich während dieser Prozedur wie verwandelt: Ihr Körper begann zu schweben, sie hörten Stimmen und spürten die Gegenwart eines übernatürlichen Wesens. Selbst hartgesottene Atheisten waren nicht frei von solchen Empfindungen, ohne diesen allerdings einen religiösen Sinn zu unterlegen. Gleichwohl ist die Einteilung der Menschen in Gläubige und Nicht-Gläubige keine absolute. In einem Experiment verabreichte der Zürcher Neuropsychologe Peter Brugger einer Gruppe von Skeptikern das Medikament L-Dopa, das im Gehirn den Dopamin-Stoffwechsel anregt. Mit gravierenden Folgen: Hatten die meisten Versuchspersonen in einem abstrakten Bild zuvor keinerlei Muster erkennen können, fanden sie solche nun in Hülle und Fülle. So wie dies normalerweise auch bei Menschen der Fall ist, die fest an esoterische Phänomene glauben und eine hohe Bereitschaft zeigen, »selbst den banalsten Zufällen des Alltags einen tieferen Sinn abzugewinnen«, wie Brugger betont. Als der Forscher die Gehirne von Paranormalgläubigen und Skeptikern miteinander verglich, stellte er fest: Die Fähigkeit, Zusammenhänge dort zu erkennen, wo es augenscheinlich keine gibt, ist an eine Überaktivierung der rechten Hirnhälfte gekoppelt. Diese physiologische Besonderheit kann eine gesteigerte Kreativität, aber auch religiöse Wahnvorstellungen zur Folge haben. Die Hirnaktivität beeinflusst also nachweislich unser spirituelles Erleben - und umgekehrt, meint der US-Radiologe Andrew Newberg, der sowohl buddhistische Mönche als auch Franziskaner-Nonnen in einem Computertomographen meditieren ließ. Ergebnis: Im Zustand der religiösen Ekstase war bei sämtlichen Probanden das so genannte Orientierungsfeld im Scheitellappen auffallend wenig durchblutet. Dieses Areal zeigt im aktivierten Zustand an, wo die Grenzen unseres Körpers liegen und die Außenwelt anfängt. Versagt jener psychische Mechanismus, kommt es zur Auflösung des Ichs. Buddhisten vermeinen dabei häufig, mit der ganzen Welt zu verschmelzen, während Christen sich auf mystische Weise mit Gott vereint fühlen. Wie unschwer zu vermuten ist, hat die Neurotheologie unter den Sachwaltern des Glaubens eine heftige Diskussion ausgelöst. Manche Geistliche halten die neuen Erkenntnisse der Hirnforschung schlichtweg für blasphemisch, mit der Begründung, dass Spiritualität etwas höchst Intimes und damit gleichsam die Grenze sei, bis zu der rationale Forschung vordringen dürfe. Für solcherart Animositäten hat der prominente Kirchenkritiker Eugen Drewermann hingegen wenig Verständnis. Ausdrücklich begrüßt er das Bemühen der Neurotheologen um philosophische und psychologische Aufklärung, die sich gegen den »magischen Gebrauch des Religiösen« ebenso richtet wie gegen die weit verbreitete religiöse Bevormundung.

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