Angetreten zur Strafaktion

Der Westen scheint zum Schlag gegen Syrien auch ohne UN-Mandat bereit

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Unbestimmtheit der Informationen ist das vielleicht augenfälligste Indiz für einen nahenden Militäreinsatz gegen Syrien. Die Wahrheit stirbt im Krieg zuerst ... Es seien »Anzeichen« eines Chemiewaffeneinsatzes gefunden, wurde am Mittwoch UN-Sondergesandter Lakhdar Brahimi zitiert. Die USA erklärten, jederzeit zum Schlag bereit zu sein. Ein Einsatz der Bundeswehr sei wenig wahrscheinlich, erklärten in Interviews Politiker aus Union und FDP.

Es sei nicht vor dem heutigen Donnerstag mit einem Militärschlag zu rechnen, verlautete in Washington. Präsident Barack Obama wolle auf die Entscheidung des britischen Unterhauses in London warten, dessen Mitglieder aus dem Urlaub zurückgerufen worden sind. Auf das französische Parlament scheint Obama nicht warten zu wollen - dieses soll erst am 4. September zusammentreten.

Den Grund für einen offenbar punktuell geplanten Schlag westlicher Staaten gegen Syrien liefert die Behauptung, das Regime von Baschar al-Assad habe vorige Woche nahe Damaskus Chemiewaffen gegen Zivilisten eingesetzt, mit hunderten Todesopfern als Folge. Barack Obama und David Cameron hätten »keinen Zweifel« mehr an dieser Version der Ereignisse, teilten Washington und London nach einem Telefonat des US-Präsidenten mit dem britischen Premierminister mit. Kein Zweifel heißt gleichwohl: Überzeugung statt Information. Russland bezweifelte die Stichhaltigkeit der Ergebnisse und forderte einen Informationsaustausch. Die Recherchen in Syrien scheinen jedoch nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Am Mittwochnachmittag wurde bekannt, dass die UN-Inspekteure ihre Untersuchung nicht wie angekündigt am heutigen Donnerstag, sondern wohl erst am Wochenende abschließen werden. Die Experten brauchten noch vier weitere Tage, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Den Haag. Zuvor hatte sich Ban gegen einen Militärschlag ausgesprochen und für eine diplomatische Lösung geworben.

Die Zustimmung des Londoner Unterhauses für einen Einsatz dürfte Formsache sein. Cameron kündigte über den Informationsdienst Twitter einen Vorstoß im UNO-Sicherheitsrat an. Er habe eine Resolution vorbereitet, die er den Mitgliedern noch am Mittwoch unterbreiten wollte - also neben den USA, Großbritannien und Frankreich auch China und Russland, die ein militärisches Vorgehen strikt ablehnen. Sie hätten nun Gelegenheit, »Verantwortung gegenüber Syrien zu übernehmen«, teilte die Downing Street mit. Während die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) »entschiedenes Handeln« gegen die syrische Regierung forderte, hat inzwischen Iran als Verbündeter der syrischen Regierung eine drohende Haltung eingenommen. Parlamentspräsident Ali Laridschani warnte vor Konsequenzen, die Israel im Falle eines Angriffs auf Syrien entstehen könnten.

Ein UNO-Mandat für einen Militärschlag gegen Syrien ist angesichts der Haltung Moskaus und Pekings nicht zu erwarten. Gleichwohl wird dies zu einem Kern der Debatten in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab am Mittwoch den Ton vor und forderte Russland und China auf, der britischen Initiative im Sicherheitsrat keine Steine in den Weg zu legen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wünschte sich eine »geschlossene Haltung« des Gremiums. Vor der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt hatte er zuvor erklärt, Deutschland werde am Ende »zu denjenigen gehören, die Konsequenzen für richtig halten«. Die »Frankfurter Allgemeine« zitierte ihn mit den Worten: »Hierzu stehen wir in enger Abstimmung mit den Vereinten Nationen und unseren Verbündeten.«

Ein Eingreifen auch ohne UNO-Mandat hielt Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) für akzeptabel. Der Chemiewaffenangriff auf Zivilisten rechtfertige eine Strafaktion. Ähnlich argumentierte Ruprecht Polenz (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier empfahl dagegen dringend, den G 20-Gipfel nächste Woche im russischen Petersburg abzuwarten. Wie die Kanzlerin denkt, deutete Regierungssprecher Steffen Seibert an: Ein Vorfall wie der Giftgaseinsatz müsse »geahndet« werden.

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