Billigfleisch dank Hungerlohn

Rot-Grün in Niedersachsen will Bundesrecht gegen Missbrauch von Werkverträgen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Zu miserablen Arbeitsbedingungen und unter katastrophalen Wohnverhältnissen leben viele Werkvertragsbeschäftigte in Deutschland. Niedersachsens rot-grüne Regierung will eine Bundesratsinitiative starten, um die menschenunwürdigen Zustände zu beenden. Sie waren am Mittwoch Thema im Landtag.

Sie schneiden Schenkel geschlachteter Hähnchen ab, ziehen Därme aus toten Schweinen und sorgen dafür, dass Händler mit Billigschnitzeln locken können: Menschen aus Osteuropa, in der deutschen Fleischindustrie schuftend, stundenlang im Akkord, oft stehend. Viele werden mit Hungerlöhnen abgespeist, müssen in Elendsquartieren hausen.

In Niedersachsen mit seinen zahlreichen Fleisch verarbeitenden Betrieben leben viele der dort tätigen Ausländer unter skandalösen Bedingungen. Doch auch in anderen Branchen sind sie in unzumutbarer Enge zusammengepfercht. Berichte über deren Arbeits- und Lebensbedingungen und der Tod zweier Werksvertragsarbeiter der Meyer-Werft im emsländischen Papenburg, die bei einem Brand in ihrer Unterkunft ums Leben kamen, zwingen die Politik jetzt zum Handeln.

Als Soforthilfe gegen die Missstände hat die Landesregierung dieser Tage einen Katalog mit Mindeststandards für Unterkünfte erarbeitet. So soll jeder Bewohner mindestens acht Quadratmeter Nutzfläche zur Verfügung haben. Die Unterkünfte müssen zudem gut erreichbar, beheizbar und gegen Kälte und Wärme gedämmt sein. Sie müssen über ein Telefon und Feuerlöscher verfügen. Kommunen sollen diese Standards zukünftig strenger kontrollieren.

Das aber reicht nicht aus, um der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte einen Riegel vorzuschieben, meint Rot-Grün. Der Bund müsse Vorschriften gegen den Missbrauch von Werkverträgen entwickeln. Welche, das trugen SPD und Grüne jetzt im Landtag vor. Unter anderem soll strenger kontrolliert werden, ob Unternehmen die Vorschriften zu Arbeitsschutz und -zeiten einhalten. Auch müsse sichergestellt sein, dass die Beschäftigten sozial- und krankenversichert sind. Besonders für osteuropäische Arbeiter seien regionale Beratungsstellen einzurichten. Lohnauszahlung in Bargeld soll es nicht mehr geben.

Beim Grundsatz, die Situation ausländischer Arbeitskräfte zu verbessern, zeigten sich Regierungskoalition und schwarz-gelbe Opposition weitgehend einig, nicht jedoch in punkto Mindestlohn: Wenigstens 8,50 Euro pro Stunde müssten gezahlt werden, forderte Anja Piel, Fraktionschefin der Grünen. Löhne von drei oder fünf Euro, wie sie nicht nur Werkvertragsarbeitern zugemutet werden, seien nicht länger zu dulden. Mindestlohn, predigte daraufhin der CDU-Fraktionsvorsitzende Björn Thümler, widerspreche dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft.

Auch die CDU hatte Gesetzentwürfe mitgebracht: Strengere Feuerschutzrichtlien werden darin ebenso gefordert wie »ausreichend Tageslicht« und »für jeden Bewohner ein eigenes Bett«. Anlass für die Union, sich so ungewohnt fürsorglich den ausländischen Arbeitnehmern zuzuwenden, ist laut Rot-Grün der nahende 22. September: »Erst jetzt vor der Bundestagswahl sind sie aufgewacht«, hielt Piel der Opposition entgegen. SPD-Fraktionschefin Johanne Modder ergänzte, seit Jahren seien die Missstände, unter denen die Arbeitnehmer leiden, von CDU und FDP klein geredet und ausgesessen worden.

Nun aber versuchte CDU-Frontmann Thümler, das Parlament mit einem sozialen Schmankerl zu überraschen: Seine Partei wolle Mindeststandards nicht nur für Arbeitnehmerunterkünfte, sondern auch für Studenten-, Alten- und Asylbewerberheime.

Wer darin einen Anflug von Großherzigkeit vermutete, wurde allerdings rasch ernüchtert, als Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) die Sache kommentierte: Schon die Heim-Bauverordnung schreibe Standards vor, die weit über das hinausgingen, was die Union fordere. Thümlers Beitrag sei also »schon ein bisschen peinlich«. Vermutlich plage die CDU ein schlechtes Gewissen, weil sie sich jahrelang nicht um die schlechten Lebensbedingungen arbeitender Menschen gekümmert habe.

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