Grenztruppen abgezogen

Andreas Fritsche gönnt Studenten einen Zuverdienst

  • Lesedauer: 2 Min.

Schon seit einigen Jahren stehen Studenten in täuschend echten Uniformen der DDR-Grenztruppen am Potsdamer Platz. Hier, wo einstmals die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin verlief, erteilen die jungen Leute Passanten auf Wunsch Visa für die Ein- und Ausreise. Dafür kassieren sie von Touristen einen kleinen Obolus.

Es sind in der Vergangenheit Geschichtsstudenten darunter gewesen, aktuell ist aber beispielsweise auch mindestens ein angehender Wirtschaftsingenieur dabei. Einige von ihnen haben die Ausbildung inzwischen beendet, sind aus Berlin weggezogen, von der nur noch imaginären Grenze abgezogen. Andere verdienen sich dort immer noch oder erst jetzt etwas, indem sie Besuchern der Stadt die Papiere abstempeln. Bei Touristen aus aller Welt kommt das gut an. Die Behörden haben diese freiwillige Grenzkontrolle bislang toleriert. Doch seit einiger Zeit gibt es Ärger. Die Polizei holt das Ordnungsamt, und das Ordnungsamt beschlagnahmt dann die Arbeitsutensilien: eine Art Bauchladen auf Rädern mit Stempel und Stempelkissen.

Die Betroffenen fühlen sich abgezogen, obwohl sie die Gegenstände später zurück erhalten. Wenigstens müssen sie die Uniform nicht an Ort und Stelle ausziehen, obwohl sich schnell der Verdacht aufdrängt, dass hinter dem Durchgreifen politische Vorbehalte stehen und die Uniformen ein Dorn im Auge sind. Tatsächlich oder zumindest vordergründig wird aber darum gestritten, ob die Grenzkontrolle bloß eine Geschäftsidee ist. Die Studenten haben kein Gewerbe angemeldet. Denn Bauchläden am Potsdamer Platz werden sowieso generell nicht zugelassen, haben sie erfahren. Darum berufen sie sich auf Anraten ihres Rechtsanwalts darauf, sei seien Schauspieler und das Stempeln sei Kunst.

Klar: Ordnung muss sein. Trotzdem sollten die Behörden eine Lösung finden, die es den Studenten erlaubt, in Grenztruppenuniform am Potsdamer Platz zu stehen und Visa zu erteilen. Schließlich sind bis heute viele Touristen neugierig, Relikte der Teilung der Stadt zu sehen. Es gibt nur klägliche Überreste der Mauer, und was Gedenkstätten und Museen in dieser Hinsicht bieten, ist manchmal auch nicht näher dran an der historischen Wahrheit als die zusammengestückelten Uniformen der Studenten.

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