Privat gegen Staat?

Teil VIII der nd-Serie zur Bundestagswahl

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Seit der Föderalismusreform 2006 sind die Bundesländer bei der Finanzierung der Bildung allein zuständig, es herrscht ein sogenanntes Kooperationsverbot. Das hat sich bis heute als vielleicht größter Hemmschuh in der Bildungspolitik erwiesen. Nach dem Ende des Ganztagsschulprogramms des Bundes - unter Rot-Grün Anfang des Jahrtausends initiiert - waren die Länder mit der Folgefinanzierung auf sich allein gestellt: Der Bund durfte nicht, die Länder konnten oder wollten nicht mehr.

SPD und Grüne und Linkspartei kündigen deshalb in ihren Programmen zur Bundestagswahl einhellig an, das Kooperationsverbot zu kippen. Doch wie bei vielen politischen Themen gilt auch hier: Papier ist geduldig und die Politpraxis oft eine andere. So kritisierte Ende Juli der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, die Versuche des Bundes, sich mehr Einmischungsrechte in der Bildungspolitik zu sichern. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hatte zuvor erklärt, dass es an der Zeit sei, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im Grundgesetz zu kippen. Das Geld des Bundes möchte Kretschmann schon nehmen, aber darüber bestimmen, wie das Geld ausgegeben wird, das sollte der Bund auch weiterhin nicht dürfen, erklärte der Grünen-Politiker gegenüber dem «Spiegel». Der Aufhebung des Kooperationsverbots erteilte er eine deutliche Absage: «Das sieht unsere Verfassung nicht vor».

Parteien zur Daseinsvorsorge

CDU
● »Wir wollen die öffentlichen und privaten Bildungsausgaben weiter steigern.«

● Neben den öffentlichen Schulen bereichern Schulen in freier und privater Trägerschaft unsere Bildungslandschaft und fördern den Wettbewerb zwischen den Schulen. Sie sind Ausdruck eines großen bürgerschaftlichen und kirchlichen Engagements. Wir stehen verlässlich zu unserer Unterstützung dieser Schulen.

● »Inklusive Schule heißt für uns, dass wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen: Jeder Schüler muss bestmöglich gefördert und unterstützt werden. (...) Zugleich sprechen wir uns dafür aus, Förderschulen zu erhalten, wo dies im Interesse der Kinder mit besonderem Förderbedarf liegt.

SPD
● »Mit dem Kooperationsverbot in der Bildung ist die Politik einen Irrweg gegangen. Wir wollen es durch einen kooperativen Bildungsföderalismus ersetzen, indem wir das Kooperationsverbot bei der Bildung im Grundgesetz aufheben, und sprechen uns für einen neuen Grundgesetzartikel 104c aus, in dem dauerhafte Finanzhilfen des Bundes für Bildung und Wissenschaft ermöglicht werden.

● »Bildung ist ein Recht. Darum soll sie nichts kosten. Von der Kita bis zur Universität soll alles gebührenfrei sein. Wo wir Verantwortung tragen, gibt es keine Studiengebühren und werden Kita-Gebühren soweit möglich schrittweise abgeschafft. Wir werden das bildungsfeindliche Betreuungsgeld abschaffen.«

FDP
● »Wir Liberale bekennen uns zum Bildungsföderalismus, denn er ermöglicht Freiheit, Vielfalt und Leistungswettbewerb. Entscheidungen über die besten Lösungen können am besten vor Ort getroffen werden. »Adäquaten Wohnraum zu haben, ist ein existenzielles Grundbedürfnis jedes Menschen.«

● »Dem in unserer Verfassung verankerten Recht auf Gründung und Betrieb von Schulen in freier Trägerschaft wollen wir Geltung verschaffen. Deshalb setzen wir uns für ihre angemessene Finanzierung ein und fordern die Streichung von ungerechtfertigten Hürden zur Gründung von Schulen in freier Trägerschaft.«

LINKE
● »SPD und Union haben 2006 ein Kooperationsverbot für Bund und Länder in der Bildung verhängt. Das muss umgehend wieder rückgängig gemacht und eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung im Grundgesetz verankert werden.«

● »Wir lehnen die Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Bildung ab. (...) Wir kämpfen für die Abschaffung von jeglichen Gebühren im öffentlichen Bildungssystem. Dazu gehören auch gebührenfreie Kindertagesstätten. Wir setzen uns für die Abschaffung jeglicher Form von Studiengebühren ein.«

● Die frühe Zuteilung von Bildungschancen durch ein gliederndes Schulsystem muss überwunden werden. Kein Kind soll mehr auf eine Förderschule verwiesen werden.«

Grüne
● »Wir wollen das Grundgesetz ändern, um das Kooperationsverbot in der Bildung aufzuheben und die Zusammenarbeit in der Wissenschaft zu erleichtern.«

● »Wir wollen Studienwilligen die Türen weit öffnen und jährlich eine Milliarde Euro mehr in den Hochschulpakt stecken - für mehr Studienplätze und bessere Studienbedingungen.«

● »Das von Schwarz-Gelb beschlossene Betreuungsgeld setzt die falschen Anreize, denn es belohnt Familien, die ihre Kinder vom Bildungsort Kita fernhalten - wir wollen es daher zugunsten einer besseren Ausstattung der Kitas wieder abschaffen! Eltern sollen sich entscheiden können zwischen einem Platz in der Kita und der Tagespflege.«

Bei Lichte betrachtet, praktiziert aber auch die Union bezüglich des Kooperationsverbots die Strategie «Zwei Schritte vor, einen zurück». So will Wanka zunächst nur den Wissenschaftsbereich verstärkt über den Bund finanzieren und wie im Wahlprogramm der Union ist von einer Aufhebung des Kooperationsverbots im Schulbereich schon gar nicht die Rede. CDU und CSU wollen mit den Ländern lediglich «gemeinsam (…) nach Möglichkeiten für eine bessere Zusammenarbeit suchen» und bestehende Hindernisse «einvernehmlich abbauen», heißt es reichlich schwammig formuliert. Ähnliches ist bei den Liberalen nachzulesen. Der Bund soll «Wissenschaft und Forschung unterstützen dürfen» aber sich so wenig wie möglich in die Belange der Länder einmischen, denn was gut ist, so das liberale Credo, entscheiden die Akteure selbst.

Diese Freiheit, die in Wahrheit Abschied der Politik von Gestaltung bedeutet, hat ihren Preis: Das deutsche Bildungssystem krankt seit Jahren an einer Unterfinanzierung. Derzeit betragen die öffentlichen Bildungsausgaben nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Deutschland 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Sie liegen damit unter dem Durchschnitt aller OECD-Staaten von 6,2 Prozent. Nur die derzeitigen Oppositionsparteien nennen eine konkrete Marke und wollen die Ausgaben auf 7 Prozent erhöhen. Die Union bleibt auch in diesem Punkt im Ungefähren und verspricht lediglich, die Ausgaben weiter zu steigern. Bei der FDP finden sich diesbezüglich keinerlei Aussagen.

Generell gilt: Alle wollen mehr Investitionen in die Bildung, während aber z.B. die Linkspartei eine deutliche Erhöhung der staatlichen Ausgaben in Kita, Schulen und Universitäten setzt, will die Union auch den privaten Anteil erhöhen. Die SPD ist wie die Linkspartei für die Gebührenfreiheit von der Kita bis zu Universität. Zum BAföG bekennen sich alle fünf Parteien - allerdings mit unterschiedlichen Akzenten. Die SPD verspricht, das Schüler-BAföG zu revitalisieren, Grüne und Linkspartei wollen die gesamte staatliche Studienfinanzierung wieder auf einen Vollzuschuss umstellen, FDP und Union dagegen ab Status quo festhalten; lediglich eine Anpassung an die Inflationsrate wird versprochen.

Die FDP bleibt auch bei ihren bildungspolitischen Forderungen ihrem wirtschaftsliberalen Ruf treu und spricht von «mehr Eigenverantwortung» und «Entbürokratisierung», übersetzt: mehr Eigenbeteiligung des Einzelnen und der Familien bei der Finanzierung von Schule und Ausbildung. Konkret favorisieren die Liberalen nachgelagerte Studiengebühren, und wie die Union befürworten sie privates Bildungssparen (sogenannte Bildungssparkonten) sowie das umstrittene Deutschlandstipendium, mit dem seit dem Sommersemester 2001 als besonders begabt geltende Studierende mit monatlich 300 Euro unterstützt werden. SPD, Grüne und Linkspartei würden dagegen bei einem Wahlsieg andere Prioritäten setzen. «Das Deutschlandstipendium und das Bildungssparkonto kritisieren wir. Beide sind ungeeignet, für Bildungsgerechtigkeit zu sorgen», heißt es z.B. im Wahlprogramm der Grünen.

Während die Wahlprogramme von Union und FDP über weite Strecken von gleichlautenden Formulierungen geprägt sind, scheren die Liberalen beim Thema Betreuungsgeld aus. Nach der Wahl werde man das Betreuungsgeld «hinsichtlich seiner Wirkung» überprüfen und sich für dessen Abschaffung einsetzen, «sollte das Ziel, mehr Wahlfreiheit zwischen privater und staatlicher Kinderbetreuung zu ermöglichen, nicht erreicht (werden)», kündigen die Liberalen an. Die Opposition lehnt die umstrittene staatliche Subvention für Eltern, die ihre Kinder in keine öffentliche Betreuungseinrichtung geben, weiterhin ab, die Union macht sich weiterhin für sie stark.

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