Die meisten Israelis wollen keinen Krieg gegen den Nachbarn

Verunsicherung und Sorge vor einer Eskalation waren in den vergangenen Tagen allgegenwärtig

  • Oliver Eberhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Israelis sind erleichtert, dass es vorerst keinen Angriff auf Syrien geben wird. Noch in der vergangenen Woche war die Sorge vor einer Eskalation allgegenwärtig. Und die eigene Regierung wie auch Soldaten aus den USA trugen maßgeblich dazu bei.

»Also«, die drei Soldaten schauen interessiert, auch wenn sie nach dem x-ten Bier sichtbar Mühe haben, die Blicke auf der Landkarte zu fixieren, »also das da«, der Wirt der Kneipe im Hafenviertel von Haifa deutet in Richtung Karte, »das ist Ägypten. Und da hinten, das ist Syrien. Merkt euch das. Nicht, dass ihr noch vorbeischießt.«

Die anderen Gäste schauen amüsiert, erleichtert und bestürzt zugleich. »Absolut unfassbar«, sagt ein älterer Mann betont langsam. Gut eine Stunde lang hat der Trupp US-Soldaten, mit dem die Drei in die Kneipe gekommen sind, die Anwesenden in ohrenbetäubender Lautstärke darüber informiert, dass »Äissaahd« endlich einen Denkzettel verdiene, denn: »Es ist Zeit, den Islamismus auszurotten.« Behauptete jedenfalls einer, der von sich sagte, er sei Offizier. Auf den Einwand, dass Syriens Präsident eher kein Islamist sei, das seien vielmehr einige der Rebellen, erwiderte er, Assad werde von Iran unterstützt, was ihn sehr wohl zum Islamisten mache. Als dann auch noch betont wurde, wie wichtig es sei, den Suezkanal zu schützen, war klar, dass da etwas mächtig durcheinandergeraten ist.

Es sind Situationen wie diese, die in diesen Tagen für große Verunsicherung in Israel sorgen. Nie zuvor, das geht aus Umfragen hervor, hatten so viele Israelis das starke Gefühl, dass die Interessen der USA und Israels auseinandergehen. Und in Momenten wie diesem wächst die Verunsicherung. Mehrere Tausend Marinesoldaten durften in den vergangenen Tagen zum letzten Mal vor einem möglichen Angriff auf Syrien in Israel an Land gehen. Und der Kontakt zwischen ihnen und den Menschen im Lande hat vielen vor Augen geführt, dass »in einem fernen Land, in dem man wenig über die Situation in der Region weiß, über unser Leben oder unseren Tod entschieden wird, ohne die Menschen zu fragen, ob sie das auch wollen«. So fasste es ein Fernsehkommentator zusammen.

Die meisten Israelis wollen keinen Krieg in Syrien, sie haben Angst davor. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Da ist die angeschlagene Wirtschaft, die unter einem Ausnahmezustand weiter leiden würde. Da sind auch die massiven Einschnitte im Sozialhaushalt: Durch die Kürzung des Kindergeldes sind vielen Israelis erhebliche Summen genommen worden. Eine Mobilisierung würde jene, die nicht auf Lohnfortzahlung bauen können, was in unteren und mittleren Einkommensgruppen regelmäßig der Fall ist, an den Rande des Ruins treiben.

Und außerdem: Man sieht den Sinn von Luftschlägen nicht. »Was ist das Ziel? Was, wenn die Rebellen mittlerweile auch Giftgas haben?«, fragte der 38-jährige Eli Maoz, während er in Tel Aviv in einer gigantisch langen Schlange wartete. Vier Stunden schon, wie er sagte. Wie alle anderen auch wollte er eigentlich nur Gasmasken für sich und seine Familie.

Auch das ist seit den Sparmaßnahmen nicht mehr so einfach: Die neue Regierungskoalition, die zu einem erheblichen Teil aus Parlamentsneulingen besteht, hat die Zahl der Ausgabestellen und die Lagerbestände reduzieren lassen. Weil man davon ausging, dass Giftgas in der heutigen Zeit kein Thema mehr sein werde. Wirklich um Abhilfe bemüht ist die Regierung erst, seit vor Tagen eine Ausgabestelle stundenlang von der Polizei geschlossen wurde, um einer Produktionsfirma das Filmen einer Serienepisode zu ermöglichen. Denn nun steht Premierminister Benjamin Netanjahu selbst in der Kritik. Jüngst erklärte er in einem Interview: »Es wird alles werden.« Eine Äußerung, die an den Golfkrieg Anfang der 90er Jahre erinnert. Damals antwortete ein Mitarbeiter von Regierungschef Yitzhak Schamir auf die Reporterfrage, wie man den Sorgen und Nöten der Menschen gerecht zu werden gedenke: »Sie sollen einen Schluck Wasser trinken.«

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