Strafe für »Homo-Propaganda«

Geplantes Gesetz in Ukraine droht, Rechte Homosexueller weiter einzuschränken

  • Jan Tölva
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Gruppe »Queer East« aus Berlin hat die queere Szene in Kiew besucht. In einer Broschüre dokumentiert sie ihre Eindrücke zur Lage von Schwulen, Lesben und Transsexuellen in der Ukraine.

Im Vergleich zur Situation beim großen Nachbarn Russland finden Menschenrechtsverstöße in der Ukraine ein vergleichsweise kleines Echo in westlichen Medien. Das gilt auch und insbesondere für die Diskriminierung von Homosexuellen und anderen sexuellen Minderheiten. Die Berliner Gruppe »Queer East« hat sich zum Ziel gesetzt, daran etwas zu ändern. Zwar sei die Situation in Russland wirklich drastisch, aber es werde häufig übersehen, dass es in anderen Ländern Osteuropas wie etwa der Ukraine teilweise kaum besser sei, meint Anne-Christin Klotz, eine Sprecherin der Gruppe.

Im April dieses Jahres reiste sie mit »Queer East« nach Kiew, um vor Ort zur Lage der LGBT-Community zu recherchieren. LGBT, das steht für Lesbian, Gay, Bisexual und Trans und fasst Homosexuelle und andere Menschen zusammen, die nicht der Heteronormativität entsprechen. Wie aktiv und trotz weitreichender Repression auch offen und transparent diese Szene ist, hat die Gruppe durchaus positiv überrascht. »Es sprach sich schnell herum, dass Besuch aus Berlin da ist, und wir wurden überall sehr herzlich empfangen«, berichtet Klotz. Aus den vor Ort gesammelten Informationen hat die Gruppe eine Broschüre mit dem Titel »From Kyiv with Love - Queere Lebenswelten in der Ukraine« erstellt, die an diesem Donnerstag, dem 10. Oktober, im FAQ-Infoladen in Berlin-Neukölln im Rahmen einer Podiumsdiskussion vorgestellt werden soll. Auf dem Podium sitzen sollen die beiden ukrainischen Soziologinnen Tamara Martsenyuk und Maria Teteriuk sowie Nina Potarska, Aktivistin der Gruppe »Feminist Ofenzyva« aus Kiew.

Zu berichten gibt es vieles. Die Entwicklungen sind in den vergangenen Jahren widersprüchlich. So gibt es auf der einen Seite durchaus positive Tendenzen. Zum Beispiel ist es gelungen, den institutionellen Rahmen der eigenen Arbeit stark zu verbessern, ein Netzwerk verschiedener Gruppen und Organisationen wie Nash Mir (»Unsere Welt«), Insight oder Gay Alliance aufzubauen und die Sichtbarkeit der Community deutlich zu erhöhen. So gab es etwa im Mai dieses Jahres erstmals eine Gay Pride in Kiew. Der erste Versuch im Jahr zuvor war nach gewalttätigen Protesten von Nationalisten und christlichen Gruppen kurzfristig abgesagt worden. Unter anderem war dabei ein Mitglied des Organisationsteams von einer Gruppe Jugendlicher verprügelt worden.

Positiven Entwicklungen wie beispielsweise der Gay Pride steht ein deutlicher Rechtstrend in der ukrainischen Gesellschaft gegenüber. »Dabei leben nicht nur alte Geschlechter- und Familienvorstellungen, sondern auch ein biologistisch gefärbter Nationalismus wieder auf«, berichtet Klotz. Als Folge ist ein spürbarer Anstieg homo- und transphober Gewalt zu verzeichnen. In der Peripherie sei die Situation dabei um einiges schlechter als in der Hauptstadt Kiew, so Klotz.

Wirklich gut stand es um die Akzeptanz und Wertschätzung nicht-heterosexueller Lebensentwürfe in der Ukraine ohnehin nie. 2007 belegte das Land bei einer Untersuchung eines US-amerikanischen Meinungsforschungsinstituts den letzten Platz unter sechs mittel- und osteuropäischen Ländern. Nur 19 Prozent der Befragten hielten damals Homosexualität für einen »akzeptablen Lebensstil«, 69 Prozent lehnten Homosexualität rundweg ab. 2009 ergab eine von Nash Mir in Auftrag gegebene Umfrage, dass nur rund ein Drittel der Menschen in der Ukraine sich für gleiche Rechte für Homosexuelle aussprechen. Gleichzeitig berichteten von 900 befragten Lesben und Schwulen rund die Hälfte von Gewalterfahrungen.

Als drastischste Bedrohung der Rechte von nicht-heterosexuellen Menschen in der Ukraine dürfte wohl aber ein Gesetz gelten, das ähnlich wie in Russland »homosexuelle Propaganda« unter Strafe stellen soll. Dieses Gesetz wurde im Oktober 2012 zwar vom ukrainischen Parlament verabschiedet, ist aber bis dato noch nicht in Kraft getreten. Sollte dies geschehen, würde der Einschätzung von Amnesty International nach »das Recht auf freie Meinungsäußerung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen drastisch beschnitten« werden. Sich mit der Situation in der Ukraine einmal näher auseinanderzusetzen, scheint also durchaus angebracht.

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