Der Innenminister im Bierzelt
Kritik an Friedrichs Flüchtlingspolitik / »Schande«-Rufe für Barroso
CDU und CSU schien ein konservativer Haudegen bereits abhanden gekommen zu sein. Doch die Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa nutzt Innenminister Hans-Peter Friedrich derzeit dazu, diese Rolle auszufüllen. Damit ruft er heftige Kritik im Inland wie auf europäischer Ebene hervor.
Die EU-Kommission hält die Sorge Friedrichs wegen der angeblichen Erschleichung von Sozialhilfe für unbegründet. Innenkommissarin Cecilia Malmström sprach auf dem EU-Innenministertreffen am Dienstag von teils »stark übertriebenen« Bedenken. Viviane Reding kritisierte den CSU-Mann mit den Worten: »Der deutsche Minister Friedrich, manchmal macht der so Bierzelt-Aussagen.«
Die Schiffskatastrophe vom Donnerstag vergangener Woche, bei der bis dato knapp 300 Tote geborgen wurden, hat eine harsche Diskussion ausgelöst. Friedrich hatte in dieser eine migrationsfeindliche Position bezogen. So wies er die Forderung zurück, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen solle und machte sich für ein stärkeres Vorgehen gegen Schleuser stark. Zudem erneuerte er seine Warnungen vor »Armutsflüchtlingen« vom Balkan.
Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) warf Friedrich Rechtspopulismus vor. Wenn Friedrich von Sozialmissbrauch spreche und Wiedereinreisesperren für Migranten aus Osteuropa fordere, seien dies »rechtspopulistische Äußerungen eines Ministers, der sich profilieren muss«, so Schneider. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth unterstellte Friedrich Populismus. Er setze auf eine »Das-Boot-ist-voll-Rhetorik« und betreibe noch dazu eine »Kampagne vom Asyl-Missbrauch«. Roths Parteikollegin Katrin Göring-Eckardt sprach im ARD-Morgenmagazin von einer Belastung im Hinblick auf die Sondierungsgespräche zwischen Grünen und CDU/CSU am Donnerstag.
Die schärfste Kritik kam indes von Bernd Riexinger. »Ein Innenminister, der sich als Hassprediger betätigt, ist eine Gefahr für die innere Sicherheit«, sagte der Vorsitzende der LINKEN der »Mitteldeutschen Zeitung«. Es werde ein Klima erzeugt, das »braune Banden« ermutige. Steht der Vorwurf des Rechtspopulismus erst einmal im Raum, wird heftig zurückgeschossen. So sprach Günter Krings, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, von »billigster Agitation«, »Herabwürdigung des politischen Gegners« und »Extremismus« bei der LINKEN. Auch ein Sprecher des Bundesinnenministerium wies am Mittwoch die Kritik an der Haltung von Friedrich zurück.
Derweil besuchte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Begleitung von Italiens Regierungschef Enrico Letta die Insel Lampedusa. Die Einwohner empfingen sie italienischen Medien zufolge mit Protesten und »Schande«- und »Mörder«-Rufen. Barroso sagte während seines Besuches: »Der Notstand von Lampedusa ist ein europäischer, Europa kann sich nicht abwenden.« Es müsse denen Hoffnung gegeben werden, die vor Kriegen fliehen müssten.
Am Donnerstag soll im Europaparlament über das Grenzüberwachungssystem Eurosur abgestimmt werden. Laut EU-Darstellung soll es Tragödien wie vor Lampedusa verhindern. Kritiker bemängeln, dass die Lebensrettung nur ein Nebenaspekt sei. Pro Asyl zufolge ziele Eurosur auf eine verbesserte Flüchtlingsabwehr, nicht aber auf die Wahrung von Menschenrechten.
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