Nichts wie raus aus der Schweiz

Blogwoche

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Schweiz leben fast 300 000 Deutsche. Ihr Anteil an der ausländischen Wohnbevölkerung beträgt rund 16 Prozent und viele von ihnen arbeiten in hoch qualifizierten Berufen. Viele Jahre war die Schweiz ein bevorzugtes Auswandererland für die Deutschen, doch seit einiger Zeit sinkt die Zahl der Übersiedler. Gleichzeitig kehren immer mehr Deutsche der Schweiz wieder den Rücken: mit fast 16 500 erreichte die Zahl im vergangenen Jahr einen Höchststand. Grund dafür sind nicht nur ökonomische Aspekte - in Deutschland lässt es sich auch inmitten der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise vergleichsweise gut arbeiten und leben - , nein, viele kehren zurück, weil sie an den Schweizern Eigenschaften bemerkten, für die jahrzehntelang die Deutschen in der Welt einen schlechten Ruf genossen.

Zu diesen Enttäuschten zählt Christoph Plate. Der Journalist hat zehn Jahre lang bei der »NZZ am Sonntag« in Zürich gearbeitet und wechselte 2012 als stellvertretender Chefredakteur zur »Schwäbischen Zeitung«. In einem Gastbeitrag für seinen früheren Arbeitgeber begründet er auf www.nzz.ch. seinen Weggang u.a. damit: »In Deutschland darf ich kritisieren und streiten, ohne deswegen als Störenfried zu gelten.« In der Schweiz dagegen herrsche eine »geistige Enge« und gebe es einen »latenten Antisemitismus« sowie »Ausländerfeindlichkeit«. Gewöhnungsbedürftig sei zudem »die völlige Abwesenheit von Selbstironie« in der Schweizer Bevölkerung.

Dass ein Deutscher den Schweizern einen Mangel an Selbstironie vorwirft, ist eine durchaus bemerkenswerte Pointe. Auch das folgende kommt einem in Deutschland ziemlich bekannt vor. »In der Schweiz wird weggeguckt und weggehört«, klagt Plate. »Zivilcourage ist selten, wenn ein Brandstifter wie Christoph Blocher (Politiker der rechtspopulistischen SVP, d. Red.) mal wieder gegen jene Menschen stachelt, ohne die in der Schweiz der Müll nicht weggefahren und die Patienten nicht operiert würden oder die Bilanzen nicht so gut aussähen. Wenn ich meine intellektuellen Freunde in der Schweiz fragte, warum denn kein Künstler, kein Denker, kein Politiker aufstehe gegen den gesellschaftlich anerkannten Zorn eines Blochers und seiner Mitstreiter, gegen deren Volksverhetzung, sagten Ernesto, Beat, Simone oder Charlotte: weil die kritischen Geister alle im Exil sind, meist in Berlin oder in Paris. (...) Und niemand erhebt in der Schweiz die Stimme, wenn in den deutschen Talkshows ein giftiger Hahn wie der ›Weltwoche‹-Chef Roger Köppel das Bild von der Schweiz bestimmen darf. Niemand ruft öffentlich aus: Wir sind doch nicht nur Köppel und Blocher!«

Roger Köppel dient in der Tat derzeit den deutschen TV-Talkshows als Abziehbild des hässlichen Schweizers. Das hat er sich redlich verdient. Innerhalb weniger Jahre hat er die vormals liberale Wochenzeitung »Weltwoche« zu einer rechten Postille umgemodelt. Im Frühjahr 2012 erschien diese mit der Titelschlagzeile »Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz«. Umrahmt wurde die Schlagzeile mit einem Foto von einem kleinen Jungen, der mit einer Spielzeugpistole auf den Betrachter zielt. Was die Leser nicht erfuhren: Das Bild des kleinen Jungen stammte aus einem Slum in Kosovo, in dem der Junge mit seiner Familie am Rand einer Müllhalde lebt. Die ARD hinderte das nicht daran, Köppel vergangenen Sonntag bei »Hart aber fair« über das Flüchtlingsdrama vor der italienischen Insel Lampedusa reden zu lassen, was dieser dazu nutzte, davor zu warnen, das irgendwann »ganz Afrika« nach Europa drängt.

Solcherart Gerede angesichts der Tatsache, dass der Grund für die Sendung der Tod von mehr als 300 Menschen war, gefiel auch spiegel-online nicht. Einen Rechtspopulisten oder gar Rechtsradikalen wollten sie Köppel allerdings nicht nennen. Für spiegel-online ist Köppel ein »Konservativer«. Leider hat bislang noch kein Konservativer - weder in der Schweiz noch in Deutschland - die Stimme gegen diese Verunglimpfung des Konservativismus erhoben.

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