Das »Dintenuniversum«

Jean-Paul-Ausstellung im Max-Liebermann-Haus

  • Jens Grandt
  • Lesedauer: 4 Min.

Das »Dintenuniversum«, was ist es und: Was vermag es uns zu sagen? Unter dieser eigensinnigen Wortschöpfung kann im Max-Liebermann-Haus neben dem Brandenburger Tor die erste große Einzelausstellung über Jean Paul betrachtet werden, dessen 250. Geburtstag im März diesen Jahres schon zu vielfältiger Würdigung Anlass gab.

Das Wort vom Universum aus Tinte hat sich der Jean-Paul-Biograf Helmut Pfotenhauer ausgedacht. Es trifft ins Schwarze. Den Besucher erwartet eine profunde Schau in eine »Schreibfabrik«, in der allerdings einer saß, »der nach den Sternen griff«, so formulierte es der Dichter Albert Ostermaier, und dem - nur ein scheinbarer Widerspruch - alles in seinem Leben dem Schreiben diente, die Tag- und Nachtstunden, die Familie und die Liebschaften, was er las und wo er lief, selbst das Essen und die ausgeklügelten Strategien alkoholischer Stimulanz. Den Erfinder des modernen deutschen Romans charakterisiert, dass er kaum Schicksalshöllen durchlitt, sondern sich und den Lesern aus der Schreibstube heraus zweite Welten erschloss.

Zentrum der Ausstellung ist der mit etwa 40 000 Seiten quasi unerschöpfliche Nachlass, den die Berliner Staatsbibliothek betreut und den die Kuratorinnen Angela Steinsiek und Jutta Weber auf eindrucksvolle Weise darzubieten verstanden. Nach einem mit größtenteils noch nie gezeigten Dokumenten unterlegten Prolog bannt eine Porträtwand den Blick, die erstmals alle zeitgenössischen Bildnisse des Dichters und Philosophen nebeneinander präsentiert. Danach erhalten wir Einblick in Jean Pauls Lektüre, die er mit besessener Zielstrebigkeit betrieb, indem er ausgiebig exzerpierte, nach Sprachmustern suchte, Register anlegte und Register zu Registern: Vorarbeit für das eigene Schreiben, er hat diesen Auszugseifer ein Leben lang betrieben. So erklärt sich, wie bei Jean Paul Literatur zu einer Lebenswirklichkeit werden konnte und was ihn zu den faktischen wie fantastischen Abschweifungen in seiner Sprachkunst befähigt hat.

Auch Objekte, die Jean Pauls Begeisterung für Automaten und andere technische Leistungen nachempfinden lassen, sind zu sehen, etwa eine Laterna Magica mit mehreren Objektiven, die seine literarischen Perspektivverschiebungen sozusagen vorwegnahmen und die als Metapher in den Texten wiederkehren. Oder der Nachbau einer Sprechmaschine. Die Gondel eines Heißluftballons zu zeigen, woraus der Autor wie sein »Luftschiffer Giannozzo« die Erschlaffung des Jahrhunderts betrachtete, hätte zu viel Platz beansprucht.

Selbstverständlich wird das humorige »Seebuch« wie alle wichtigen Werke mit Autographen, Erstausgaben und anderen Zeugnissen ergänzt, vom »Hesperus« über den »Titan« bis zum »Komet«. Um 1800 war Jean Paul der am meisten gelesene und verehrte Dichter Deutschlands. Er wurde in Massenaufläufen und mit Vivat-Geschrei gefeiert wie heutzutage ein Popstar. Selbst Königin Luise von Preußen bekundete ihre Zuneigung, indem sie zur Verlobung mit Caroline Mayer dem Paar ein silbernes Teeservice schenkte und zur Hochzeit der Braut ein Brillanthalsband, beides im Schatzkabinett der kubistischen Ausstellungskonstruktion zu bewundern, neben Zeichnungen der königlichen Familie von Schadow und den Porträts anderer Mäzene.

Eine Überraschung reiht sich an die andere. Der Literaturwissenschaftler und Editor Markus Bernauer hat es sich nicht nehmen lassen, die weitgehend missachtete politische Komponente des mitunter ins Biedermeier abgedrängten Schriftstellers sehr konkret herauszustellen. 1789 hat Jean Paul den Mut, in »Auswahl aus des Teufels Papieren« zu bedauern, dass die Menschheit keinen »Wiesenhobel« habe, der »über die ganze Erde« gezogen wird, um alle »Erhebungen ... die von Eroberern zu ihren Sitzen und Thronen aufgeworfen worden«, platt zu machen. Er befürwortet die Ziele der Französischen Revolution und bewahrt trotz der jakobinischen Schreckensherrschaft den revolutionär-demokratischen Geist bis in die Jahre der Restauration. Er rechtfertigt den Tyrannenmord, verabscheut aber Mord »für eine Idee«.

Sinnvolle Erweiterungen: Die Resonanz im Schaffen verschiedener Künstler - Stefan George wäre zu nennen, Gustav Mahler, Walter Höllerer, nicht zuletzt Robert Schumann, der in seinen frühen Tongedichten, den »Papillons«, den »Davidsbündlertänzen«, Stimmungen und zum Teil Personen aus JeanPaulschen Werken kompositorische Gestalt gegeben hat. Schließlich eine Auswahl von »Zettelkästen«, die das Deutsche Literaturarchiv Marbach zur Verfügung stellte; sie veranschaulicht, wie Pauls Ordnungsprinzip später anhand von Stichwort- und Zitatenkarten weitergeführt wurde: Arno Schmidt, Hans Blumenberg, Peter Rühmkorf und andere.

Die Schau ins »Dintenuniversum« wurde von der Jean-Paul-Arbeitsstelle der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften konzipiert und maßgeblich von der Kulturstiftung des Bundes finanziert.

»Jean Paul. Dintenuniversum. Schreiben ist Wirklichkeit«. Max-Liebermann-Haus, Pariser Platz 7, bis 29. Dezember. Mi-Mo 11-18 Uhr. Katalog 24,90 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal