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In der Bretagne brodelt es

Heute demonstrieren Beschäftigte der agrarverarbeitenden Industrie

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Konkurrenzkampf in der Agrarindustrie setzt den Bretonen zu. Dies versuchen Unternehmer und Populisten für sich zu nutzen.

Die Bretagne kommt seit Wochen nicht mehr zur Ruhe. Tausende Menschen protestieren mit zum Teil sehr entschlossenen Aktionen gegen den Abbau ihrer Arbeitsplätze. Ein Höhepunkt ihres Kampfes verspricht der heutige Sonnabend zu werden, an dem zu einer Großdemonstration in Quimper aufgerufen wurde, die einem internen Bericht der Polizei zufolge »alles in den Schatten stellen dürfte, was die Region bisher erlebt hat«.

An Gründen für Unmut und nackte Verzweiflung der Bretonen mangelt es nicht. Zahlreiche Unternehmen der agrarverarbeitenden Industrie haben schon Pleite gemacht oder gehen dem Konkurs entgegen. So hat die bekannte Geflügelmarke Doux ernste Absatzprobleme und kämpft ums Überleben, weil Billiggeflügel aus Brasilien den Markt überschwemmt. Eine ganze Reihe von Schlachthöfen musste schon schließen, weil sie im Konkurrenzkampf mit deutschen Großunternehmen und deren mit Dumpinglöhnen abgespeisten Arbeitern aus Osteuropa nicht mithalten können. Die meisten entlassenen Bretonen bekommen nur magere Abfindungen und Hoffnung auf einen neuen Job kann sich angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt kaum einer machen.

Das hat auch einschneidende Konsequenzen für Handel und Gewerbe in der Region, weil die Familien der Arbeitslosen deutlich weniger ausgeben können. Hinzu kommen die Existenzsorgen der meisten Landwirte, denen die Handelskonzerne und die verarbeitenden Industrie für Obst und Gemüse, Milch, Geflügel und Schweine keine fairen Preise zahlen, von denen sie vernünftig leben und auch in die Zukunft ihrer Höfe investieren können.

Als Reaktion auf den Großkonflikt, der sich in der Region zusammenbraut, die 20 Prozent aller Lebensmittel des Landes produziert, hat die Regierung bereits vor zwei Wochen ein Hilfsprogramm für die gefährdeten Unternehmen beschlossen. Dadurch wurden 15 Millionen Euro bereitgestellt, um weitere Massenentlassungen abwendet zu können. Das wiederum hat andere Regionen wie den Norden oder Languedoc-Roussillon auf den Plan gerufen, wo die Probleme nicht weniger ernst sind. Zum Teil ist dort die Arbeitslosenrate sogar noch höher als in der Bretagne, weshalb diese Gegenden jetzt auch auf ihr Anrecht auf ein Hilfsprogramm pochen.

Diese Probleme und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung hat mittlerweile auch der Unternehmerverband der Bretagne aufgegriffen und für eigene Zwecke instrumentalisiert. Massiv wurde die »Ökosteuer« für Lastwagen auf den Nationalstraßen, die am ersten Januar in Kraft treten sollte, attackiert und ihre Rücknahme gefordert. Tatsächlich verteuern sich dadurch alle transportierten Waren um etwa vier Prozent. Jedoch wurde diese Maßnahme vom Umweltgipfel von 2007 beschlossen, um die Güterströme von der Straße auf die Schiene oder die Wasserwege umzulenken. Schließlich verabschiedete im Jahr 2009 eine Mehrheit von Abgeordneten aus allen Parteien das entsprechende Gesetz.

Seit Tagen nun attackieren die rechten Oppositionspolitiker die Linksregierung und beschuldigen sie mit dem Hinweis auf die Lkw-Ökosteuer, dass sich ihre Wirtschaftspolitik darauf beschränke, »unablässig an der Steuerschraube zu drehen«. Andererseits haben dieselben Parteien Präsident François Hollande und seine Linksregierung verhöhnt und an die bereits stattliche Zahl zunächst angekündigter und dann doch nicht verwirklichter Reformen erinnert. So war es auch als Premier Jean-Marc Ayrault nach den schweren Auseinandersetzungen vor einer Woche auf den Straßen der Bretagne beschloss, die Lkw-Abgabe auf unbestimmte Zeit aufzuschieben.

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