Selbstbezichtigungsklausel problematisch

Das neue Patientenrechtegesetz - die Vor- und Nachteile (Teil 3)

  • Lesedauer: 5 Min.
Seit dem 26. Februar 2013 ist das neue Patientenrechtegesetz in Kraft. In einer vierteiligen Serie geben die Autoren, Rechtsanwältin Anke Plener und Rechtsanwalt Volker Loeschner aus Berlin, die vor dem Ausschuss für Gesundheit und Recht des Deutschen Bundestages als Einzelsachverständige zu diesem Gesetz gehört worden waren, ihre Erfahrungen mit dem neuen Gesetz wieder. Die ersten beiden Teile (23. und 30. Oktober) beschäftigten sich damit, wie das Gesetz sowohl Patienten als auch Ärzte vor neue Herausforderungen stellt. Im Teil 3 geht es darum, wie durch das neue Gesetz das vertrauensvolle Verhältnis Patient - Arzt auf die Probe gestellt wird.

Eine neue Informationspflicht, die sogenannte Selbstbezichtigungsklausel, halten die Autoren für besonders problematisch. Sie meldeten bei der Anhörung auch verfassungsrechtliche Bedenken an. Der Gesetzgeber reagierte darauf aber nicht ausreichend.

Das Patientenrechtegesetz erwartet vom Arzt, sofern für ihn Umstände erkennbar seien, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, den Patienten darüber auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu informieren. Selbstverständlich sollte ein Arzt zur Abwendung von Gesundheitsgefahren ethisch verpflichtet sein. Im Falle eines Behandlungsfehlers gilt das umso mehr. Der Arzt kann aber rechtlich nicht gezwungen werden, eine Wertung gegen sich selbst abzugeben.

Die Praxis zeigt, dass oft Jahre vergehen, bis durch mehrere, teilweise gegensätzliche Gutachten geklärt ist, ob ein Behandlungsfehler vorliegt. Der Arzt seinerseits soll aber sein eigenes Tun kurzerhand als fehlerhaft einschätzen, wenngleich der Begriff des Fehlers eine rechtliche Wertung darstellt.

Arzt könnte Interesse haben, Fehler zu verschweigen

Es gibt den Rechtsgrundsatz, wonach niemand gezwungen werden kann, an seiner Strafverfolgung teilzunehmen. Auch der Gesetzgeber erkennt, dass die jetzige Selbstbezichtigungsklausel den sogenannten »nemo-tenetur«-Grundsatz durchbricht. Er meint, dem Rechnung zu tragen, indem die Befolgung der Informationspflicht zu Beweiszwecken in einem gegen den Arzt geführten Straf- oder Bußgeldverfahren nur mit dessen Zustimmung verwendet werden darf.

Ein weiteres Problem: Die Verletzung der Informationspflicht über eigene und fremde Behandlungsfehler ist eine sanktionslose Pflichtverletzung des Behandlungsvertrages. Eine Informationspflichtverletzung löst nicht etwa automatisch eine Beweiserleichterung aus; systematisch ließe sich aber ein Schadenersatz vertreten.

Nach dem neuen Gesetz könnte der Arzt ein Interesse daran haben, den Behandlungsfehler zu verschweigen. Dies ergibt sich hauptsächlich aus zwei Gründen: Der erste ist, dass der Behandelnde unter Umständen seinen Versicherungsschutz in seiner Vermögensschadens- oder Berufshaftpflichtversicherung verliert. Wegen des Widerspruches der Offenbarungspflicht zu den Verpflichtungen aus Altverträgen der Ärzte gegenüber ihrer Versicherung ist trotz § 105 VVG, Nr. 5.1. der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung damit zu rechnen, dass Ärzte gerade wegen der Sanktionslosigkeit der Vorschrift bewusst gegen sie verstoßen. Denn der Arzt überträgt im Falle eines auch nur vermuteten Behandlungsfehlers gemäß Ziffer 5.2. AHB 2012 seine Regulierungsvollmacht gegenüber dem Patienten im Außenverhältnis an den Versicherer.

Damit steht dem Versicherer im Innenverhältnis zum Arzt als Versicherungsnehmer die Geschäftsführungsbefugnis mit dem Patienten im Außenverhältnis zu. Nach seinem Versicherungsvertrag verliert der Arzt seinen Versicherungsschutz, sofern er gegenüber dem Patienten einen Behandlungsfehler eingesteht. Mit dem Eingeständnis kann der Patient vielleicht den Prozess gewinnen, seinen Anspruch aber nicht effektiv durchsetzen, da der Arzt den Schaden eventuell nicht ausgleichen kann.

Der zweite Grund ist, dass der Behandelnde sich der Strafverfolgung aussetzt, denn er informiert automatisch über eine fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB. Das Gesetz sieht lediglich ein relatives Beweisverwertungsverbot vor, mit der Folge, dass jeder Dritte, insbesondere der Patient, im Strafverfahren als Zeuge der Anklage gehört werden kann. Vertrauen kann so nicht entstehen.

Die Patientenaufklärung und Dolmetscherkosten

Es ist begrüßenswert, dass der Gesetzgeber anordnet, sowohl die Information des Patienten als auch seine Aufklärung habe in »verständlicher Weise« zu erfolgen. Der Gesetzgeber verlangt, dass der der deutschen Sprache aus anderen Gründen nicht mächtige Patient nur dann wirksam in eine Behandlung einwilligen kann, wenn er in einer ihm verständlichen (Fremd-)Sprache informiert oder aufgeklärt ist.

Patienten können indes vor folgendem Problem stehen: Bei sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten regelt § 17 Abs. 2 SGB I zwar in Verfahren um Sozialleistungen und ärztliche Behandlungen die Kostenübernahme eines Dolmetschers für Hörbehinderte. Leistungsberechtigte mit Anspruch auf Grundsicherung nach dem SGB II (Hartz IV) und dem SGB XII (Rentner) nennt das SGB I nicht.

Die Autoren schlugen allerdings erfolglos vor, § 17 SGB I dahingehend zu ergänzen, dass sowohl Behinderte (SGB IX) als auch Leistungsberechtigte nach dem SGB II oder SGB XII Anspruch auf die Kostenübernahme für einen Dolmetscher im Falle ärztlicher Informations- und Aufklärungspflichten erhalten. Gleichzeitig empfahlen sie, diese Leistung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung mit aufzunehmen.

Damit wäre diese Problematik indes nur für gesetzlich Krankenversicherte und jene gelöst, die zwar im Basistarif der privaten Krankenversicherung versichert sind, aber Leistungen nach dem SGB II empfangen, nicht jedoch für alle weiteren PKV-Patienten.

Mit einer anderen Neuregelung im SGB V, dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, schuf der Gesetzgeber zumindest für die gesetzlich versicherten Patienten eine Regelung, die ihnen eine kostenlose Variante bietet, die so schwer einschätzbare Bewertung eines Behandlungsfehlers für einen Arzthaftungsprozess zu ermitteln.

Zu MDK-Gutachten im Regelfall verpflichtet

Während vor Inkrafttreten des Gesetzes die gesetzlichen Krankenkassen zwar vereinzelt über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) ärztliche Gutachten über vermutete Behandlungsfehler in Auftrag gaben, sind sie hierzu nunmehr im Regelfall verpflichtet. Leider weisen diese Gutachten gelegentlich Mängel auf, insbesondere dann, wenn sich der Gutachter an juristischen Einschätzungen übt. Die gesetzliche Krankenkasse zahlt häufig die Revisionsbehandlungen nach dem Behandlungsfehler und hat daher ein Interesse, eigenen Schadenersatz neben dem Patienten gegen den Schädiger geltend zu machen. Die gesetzliche Krankenkasse und der Patient ziehen quasi am gleichen Strang.

Neben dem MDK-Gutachten gibt es noch eine weitere Möglichkeit ein für den Patienten kostenloses Gutachten über den vermeintlichen Behandlungsfehler zu erhalten. Es handelt sich dabei um ein Verfahren vor der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen. Diesem außergerichtlichen Verfahren müssen alle drei beteiligten Parteien zustimmen: der Patient, der Arzt und seine Haftpflichtversicherung. Daran hapert es meist.

Da diese Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern angesiedelt sind, wird das Gutachten von der Haftpflichtversicherung des Arztes bezahlt. Die Risiken liegen auf der Hand, sofern ein Gutachter beauftragt wird, der sich auch zukünftig eine Beauftragung sichern will.

Die Autoren begrüßen daher Qualitätskontrollen für außergerichtliche und gerichtliche Sachverständige. Es sollten einheitliche Standards für Gutachter und institutionalisierte Gutachtenüberprüfung eingeführt werden. Patienten dürfen nicht den Eindruck haben: »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.«

Teil 4 und Schluss im nd-ratgeber vom 13. November 2013.

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