Der normale Schrecken
Uwe Kalbe über die Folgen der Flüchtlingspolitik vor den Küsten der EU
Die EU beklagt, dass immer wieder Flüchtlinge vor ihren Küsten Aufsehen erregen, indem sie ertrinken. Unter dem Eindruck von 360 vor Italien Umgekommenen brachten die EU-Länder es sogar fertig, leidenschaftlich, aber ergebnislos über Koordinierung von Flüchtlingspolitik zu debattieren. Küstenländer wurden ermahnt, öfter mal aufs Meer hinaus zu schauen.
Insgeheim hoffte man auf ein Abflachen der Erregungswellen. Und darauf, dass das neue, soeben beschlossene Überwachungssystem EUROSUR bald greifen möge, dass die Grenzer von Frontex effektiver arbeiten mögen, dass ein paar Euro Entwicklungshilfe reichen mögen, die Lage in Afrika zu beruhigen. Und ja, inzwischen ist es wieder ruhiger geworden in den Nachrichten.
Jetzt herrscht wieder der normale Schrecken. Zu Land und zur See. Untersuchungen von Pro Asyl zeigen: Er kommt in Gestalt der vermeintlichen Retter selbst. Wenn Grenzschützer Flüchtlinge abweisen, ihre Boote rammen, sie sogar misshandeln und bestehlen. Dieser Schrecken findet seine Erklärung, wenn Bundesinnenminister Friedrich scheinheilig Schleuser beschuldigt, die Misere zu verursachen, und sich zugleich gegen Veränderungen des Asylsystems ausspricht, das Menschenrechtsverletzungen den Boden bereitet, weil es ein Abschreckungs- und Abweisungssystem ist. Ohne großes Aufsehen ertranken inzwischen wieder ein paar Dutzend Afrikaner. Leider.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.