- Politik
- ? Gestapochef Thümmler- Blutspur in Polen
Verhöhnung der Opfer
Seit 1944 stand SS-Obersturmbannführer Johannes Thümmler auf alliierten Kriegsverbrecherlisten. Ihn an Polen auszuliefern, weigerte sich die US- amerikanische Besatzungsmacht im Kalten Krieg. So konnte Thümmler rasch zum Leitenden Angestellten der Carl-Zeiß- Stiftung im württembergischen Oberkochen aufsteigen.
Über die Untaten dieses Gestapo-Mannes erschien in Polen bereits vor knapp 20 Jahren ein Buch von Jozef Musiols. Nun liegt auch eine neue Biographie vor, ver fasst vom ehemaligen Auschwitz-Häftling Adolf Diamant. Dank der Förderung durch die Stadt Chemnitz, deren Oberbür germeister auch die Einleitung schrieb, konnte die Publikation in größerem Umfang und anspruchsvollem Format präsentiert werden.
Vorgestellt werden die Tatorte des Delinquenten: Zunächst in Dresden bei der Gestapo tätig, befehligte er bald deren Dienststellen in Chemnitz (1941), Kattowitz (1943), Stuttgart (April 1945). Deportationen, Misshandlungen und Tötungsverbrechen prägten seine Laufbahn. Im KZ Auschwitz - wo er an einer Selektion ungarischer Juden teilgenommen haben soll (S. 109) stand er dem berüchtigten Standgericht vor, das im Minutentakt die Vorgeführten verurteilte und das nach seinen Angaben nur auf Tod oder KZ-Einweisung entschied.
Der Autor stützt sich weitgehend auf Dokumente, die die polnische Hauptkommission 1967 sowohl der Staatsanwaltschaft Stuttgart (zu deren Akte 17 Js 294/64) als auch dem Generalstaatsanwalt der DDR (zu V 17/64) übermittelte. Da Bl. 94 des Werkes das ausweist, ist unerfindlich, warum ein Rechtsprofessor aus Frankfurt (M.) und ein Anwalt in ihren Kommentaren so tun, als habe die DDR diese Beweise der BRD vorenthalten.
Thümmler selbst stand nach 1945 immer wieder im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Noch 1996 erregte er 90-jährig Aufsehen, als er von der Stadt Chemnitz Kunstwerke forderte, die ihm angeblich eigen und hier nach dem Kriege entzögen worden waren. Adolf Diamant belegt: Einsicht und Reue sind dem Gestapomann wesensfremd.
Das Buch zeigt auch, wie die deutsche Nachkriegsjustiz gerade in diesem Falle versagt hat. So gab es beiderseits der Elbe - mit durchaus unterschiedlicher Gewichtung - ernste Versäumnisse. Ist der BRD-Justiz anzulasten, dass sie sich zu Thümmler verhielt - um mit dem unver gessenen F.K. Kaul zu sprechen - wie ein Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muss, ist der DDR vorzuwerfen, dass sie zwar Staatsanwaltschaften und Gerichten der BRD Hilfe zuteil werden ließ, sie aberim Gegensatz zu ihren Verbündeten - der Zentralen Stelle Ludwigsburg auch dann verweigerte, als diese nicht mehr von einem ehemaligen NSDAP-Mitglied und SA- Mann geleitet wurde, der sich energisch für die Verjährung aller Naziverbrechen per 8. Mai 1965 verwendet hatte.
Abwegig ist hingegen die Annahme des Autors (S. 106), die DDR-Justiz habe Kontakte zu westlichen Behörden unter lassen. Selbst mit dem Washingtoner Justizministerium gab es eine rege Kooperation: So dankten die Amerikaner im Februar 1980 der DDR für die Beweise, die den in Sacramento lebenden Eichmann- Komplizen Alfred von Bolschwing über führten. Trotz fehlender diplomatischer Beziehungen unterhielt man auch zu Israel zumindest sporadisch Kontakt.
Dem ostdeutschen Leser vermittelt das Buch zugleich aktuelle Bezüge: Während die BRD-Justiz schon in den 50er Jahren den in den Westen gegangenen Magdeburger Richter Oehme, der 1950/51 in politischen Prozessen Freiheitsstrafen ver hängt hatte, zu einer ebensolchen verur teilte, was der Bundesgerichtshof am 16. Februar 1960 bestätigte (Entscheidungen in Strafsachen, Bd. 16, S. 147), weigerte man sich, gegen den Leiter des im KZ Auschwitz tagenden Standgerichts, das mindestens eintausend Todesurteile ver hängt haben soll (S. 89), den Strafprozess auch nur zu eröffnen. Begründung: Die von polnischen Zeugen pro Verhandlungstag dreistellig bezifferte Zahl solcher Urteile wäre »verhandlungstechnisch kaum durchführbar«. Dabei weist der Gestapo-Rapport l/III 165 Polen aus, die das SS-Tribunal allein am 29.2.1944 dem Henker überantwortete (S. 75). Im Übrigen - so argumentierte die Staatsanwaltschaft Stuttgart 1969 - habe Thümmler ja auch KZ-Einweisungen verfügt und somit »ein gewisses Maß an Sorgfalt walten lassen« (S. 100). Und letztlich sei allen, die sich den Okkupanten widersetzten, »das Risiko bekannt« gewesen (S. 99). Adolf Diamant kommentiert: Das alles kommt der Verhöhnung der Opfer recht nahe.
Adolf Diamant. Gestapochef Thümmler, Verbrechen in Chemnitz, Kattowitz und Auschwitz. Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz 1999 149 S., br., 29,90DM.
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