im Gesundheitsrisiko »Made in Germany«
BUKO-Pharma-Kampagne untersucht Arzneiausfuhr Von Silvia Ottow
Seit 1981 verschreibt sich die BUKO- Pharma-Kampagne dem Kampf gegen unlautere und unethische Absatzpraktiken der deutschen Pharmaindustrie in der Dritten Welt. Der neueste Bericht fällt ernüchternd aus: Von zehn angebotenen Medikamenten hält die Kampagne vier für unvernünftig. Das bedeutet, sie sind unnütz, überflüssig oder gar gefährlich und sollten dringend vom Markt genommen werden. Selbst, wenn sie den Patienten nicht schaden, so ver anlassen sie diese doch, ihr ohnehin knappes Geld für Placebos auszugeben. Dafür, so der Bundeskongress entwick lungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO), gibt es nirgendwo auf der Welt eine Rechtfertigung.
Die Firma Merz hat den Erhebungen zufolge 86 Prozent unnütze Medikamente in ihrem Angebot, gefolgt von Luitpold, Nattermann, Mack, Degussa /Asta Medica und weiteren. Einzig der Hersteller Ratiopharm habe kein einziges dieser Mittel in seinem Sortiment.
Ein Beispiel für ein gefährliches Medikament ist das als Aufbaumittel für Kinder und ältere Menschen in Südafrika angebotene Reactivan der Firma E. Merck. Es enthält unter anderem den Wirkstoff Fencamfamin, der wegen seiner großen Suchtgefahr in Deutschland unter das Betäubungsmittelrecht fällt. Entsprechende Informationen fehlen im südafrikanischen Kompendium völlig. Einziger Warnhinweis: »Nicht abends einnehmen«. Warum ein »Aufbaumittel« einen Appetitzügler mit Suchtpotenzial enthält, bleibt das Geheimnis der Firma Merck.
Unwirksame Mittel werden häufig gegen Durchfall, eine weit verbreitete Krankheit, angeboten. Da das Symptom Durchfall nur durch den damit verbundenen großen Flüssigkeitsverlust gefährlich werden kann, ist vor allem die schnelle Zufuhr von Wasser und Mineralien entscheidend. Dazu benötigt man eine Salz Zucker-Lösung, die relativ einfach selbst hergestellt werden kann. Dennoch sind in der Dritten Welt unsinnige »Durchfallmittel« auf dem Markt, darunter Kombinationspräparate mit Antibiotika. Letztere sind aber nur bei wenigen Erkrankungsbildern angebracht. Auch Mittel, die den Darm ruhig stellen, werden gegen Durchfall angeboten, obwohl es weltweit keinen Beweis dafür gibt, dass diese Mittel den Verlauf eines Durchfalls positiv beeinflussen können. Diese Mittel verleiten eher dazu, die lebensrettende Flüssigkeitszufuhr zu unterlassen. Ein Beispiel ist Lomotil; die Firma Grünenthal vermarktet es in Brasilien und Mexiko.
Ein weiteres schwerwiegendes Problem ist nach Informationen der BUKO-Phar ma-Kampagne die mangelhafte Arzneimittelinformation. Die Kompendien, die den Ärztinnen und Ärzten in der Dritten Welt von den deutschen Pharmafirmen zur Verfügung gestellt würden, sind oft unvollständig und nicht selten irreführend. So beträgt beispielsweise die Gesamtzahl der Medikamente, die in Brasilien ganz oder teilweise ohne Mengenangaben für ihre Wirkstoffe angeboten werden, 66. In Zentralamerika gibt es 41 Arzneimittel ohne klare Wirkstoffangaben. Davon entfallen 18 auf die Firma Bayer.
Fazit der Kampagne: Die deutsche Pharmaindustrie, die eine der führendender Welt ist und im Ausland einen guten Ruf hat, erweist sich in den Ländern des Südens als unzuverlässiger Lieferant. Ihr Angebot berücksichtigt die lokalen Krankheiten und Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung nicht, sondern entspricht eher dem hiesigen Spektrum. Es enthält Medikamente mit gefährlichen, schädlichen oder nutzlosen Wirkstoffen. Arme Menschen sparen Wochen oder Monate, um sich ein Medikament leisten zu können, das sie besser nicht nehmen sollten. Mangelnde Produktinformationen zeugen darüber hinaus von grober Fahr lässigkeit. Die BUKO-Pharma-Kampagne fordert alle Hersteller dringend auf, ihr Angebot in der Dritten Welt auf Rationalität und Angemessenheit zu überprüfen.
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