Im Januar letzten Jahres schrieb der schwedische Student Erik Svansbo einen Brief an die Zentrale von IKEA in Älmhult. Erik hatte in einem Katalog des Möbelhauses geblättert und festgestellt, dass IKEA in seinen weltweit über 200 Filialen einen Couchtisch verkaufte, der seinen Familiennamen trug. 33,95 Euro kostete ein »Svansbo« in Deutschland.
Für Erik war das ein Problem. Bislang war seine Familie die einzige in Schweden, die diesen Namen trug, und sie war stolz darauf. Nun war »Svansbo« ein Produkt, das einen Preis hatte. Erik versuchte, den Konzern zu überzeugen, den Sofatisch umzutaufen, machte sich jedoch von Anfang an wenig Hoffnungen. IKEA habe »unbegrenzte Möglichkeiten«, dagegen sei er ziemlich machtlos, erklärte er gegenüber ND.
Entsprechend sollte die Svansbo-Anekdote dann auch ausgehen: Das Tischchen wird immer noch in den »Markhallen« der IKEA-Häuser feilgeboten, wenn auch nicht mehr in den deutschen Filialen, und Erik muss damit leben, dass die »Einzigartigkeit« seines Namens verloren ist.
Sieht man sich an, wie sich IKEA seit seiner Gründung 1943 entwickelt hat, stößt man tatsächlich auf eine Geschichte nahezu »unbegrenzter Möglichkeiten«. In 33 Ländern der Welt ist IKEA heute vertreten, die Auflage des Firmenkatalogs wird, wie man in Schweden sagt, nur von der Bibel übertroffen, und rund 400 Millionen Menschen besuchen jedes Jahr eine IKEA-Filiale.
In der Bundesrepublik wurde das erste Warenhaus 1974 in Eching bei München eröffnet, heute sind es 37. In den USA gibt es IKEA seit 1986, in China seit 1992. Im Jahr 2000 begann mit der Eröffnung eines Möbelhauses bei Moskau die Expansion nach Russland. Mittlerweile stehen dort fünf Niederlassungen. 2004 öffneten auch zwei Filialen in Saudi-Arabien. Wenn sich IKEA in diesem Tempo weiter ausbreitet, wird man sich in einigen Jahren in nahezu jedem Winkel der Welt darüber unterhalten können, welche Vorteile das beliebte Regalsystem »Ivar« gegenüber »Billy« aufweist, warum »Billy« aber eleganter ist.
1998 betrug der Umsatz des Konzerns weltweit rund fünf Milliarden Euro, 2005 waren es fast 15. Wie groß die Gewinne sind, die die IKEA-Stiftung jedes Jahr erwirtschaftet, wird traditionell nicht öffentlich gemacht.
Verbunden ist die Geschichte des Konzerns seit seiner Gründung 1943 mit einem Namen: Ingvar Kamprad vom Hof Elmtaryd bei Agunnaryd in der Region Småland. Aus einer Aneinanderreihung der Anfangsbuchstaben dieser Bezeichnungen schöpfte Ingvar Kamprad den Namen IKEA, der ursprünglich aber mit kleinen Buchstaben und einem Akzent auf dem »e« geschrieben wurde.
Am 30. März feierte der Schwede, der vor zwei Jahren als reichster Mann der Welt galt, inzwischen aber wieder überholt wurde, seinen 80. Geburtstag. Wo, darüber konnten die Zeitungen in seinem Heimatland Schweden nur spekulieren. Interviews gab er keine, und seit 1978 hält er sich nur noch vorübergehend in Schweden auf. Seinen Wohnsitz hat er, wegen der niedrigeren Steuern, in der Schweiz. Außerdem besitzt er ein Weingut in Südfrankreich.
Auch wenn der runde Geburtstag im Stillen ablief, weiß die Öffentlichkeit in Schweden über ihren weltbekannten Landsmann gut Bescheid. Einen Tag vor dem 30. März lagen in den Buchläden wieder Stapel des Buches »Historien om IKEA« (Die Geschichte von IKEA) von Bertil Torekull aus, das kurz zuvor in Neuauflage erschienen war. Vor allem Kamprad selbst kommt darin zu Wort.
Ihren Anfang nimmt die Geschichte in Småland, das sonst für Astrid Lindgren, Elche und ausgedehnte Wälder bekannt ist. In der Nähe der Gemeinde Älmhult wurde Ingvar Kamprad 1926 als Sohn des Forstwirts Feodor Kamprad und dessen Frau Berta geboren. Feodors Vater wiederum, Achim Erdmann Kamprad, war 1896 mit seiner Frau Franziska aus Sachsen eingewandert und hatte in Schweden einen Hof erworben. 1933 zog die Familie nach Elmtaryd. Dort entwickelte Ingvar schon im Kindesalter ein Gespür für Kaufen und Verkaufen, handelte mit Streichhölzern, Fisch, Weihnachtskarten oder auch Blumen- und Gemüsesamen. »Ich war ein wenig seltsam und begann schon früh mit Geschäften«, erzählt Kamprad in Torekulls Buch. »Das Handeln hatte ich im Blut.«
1943 meldet der noch nicht volljährige Kamprad unter dem Namen »ikéa« eine Firma an, 1948 verkauft er zum ersten Mal ein Möbelstück. Rund um den See Möckeln in der Nähe des heimatlichen Hofes gab es eine Reihe von Möbelfabrikanten. Kamprad nahm Kontakt auf und inserierte zwei Sessel und einen Sofatisch in einer Landwirtschaftszeitung. »Die Antwort war eindeutig - wir verkauften kolossal viele von diesen "Testmöbeln"«, sagt Kamprad in der IKEA-Geschichte.
Weil es ihm schwer fiel, sich an Warennummern zu erinnern, taufte er einen der Sessel »Rut«. Daraus sollte ein Markenzeichen werden: Alle Produkte tragen bis heute klangvolle Namen, vom Sofa »Kramfors« bis zum Mehrfachstecker »Koppla«.
Aus den Zeitungsinseraten wurde nach und nach ein Versandhandel. 1953 eröffnete Kamprad eine »Möbelausstellung« in Älmhult, und fünf Jahre später am gleichen Ort das erste IKEA-Möbelgeschäft. 1963 weihte er ein IKEA-Haus in Oslo ein, 1965 »Kungens Kurva« (Königskurve) in Stockholm, bis heute das Flaggschiff des Konzerns.
Kamprad war mit seiner Idee, so viele Bürger wie möglich mit möglichst preiswerten Möbeln zu versorgen, genau zur rechten Zeit gekommen. Unter dem damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Tage Erlander wurde der schwedische Wohlfahrtstaat, das »Volksheim«, kräftig ausgebaut, auch der öffentliche Wohnungsbau blühte, und die Schweden brauchten dafür eine günstige Einrichtung. Als IKEA mit Möbeln, die der Kunde selbst zusammenbauen konnte, die Preise der Konkurrenz unterbot, war Kamprad nicht mehr zu stoppen.
Anfangs hatte er zwar damit zu kämpfen, dass eingesessene Möbelproduzenten sich weigerten, ihn zu beliefern. Sie sahen in IKEA einen Billiganbieter, der ihnen die Preise und das Geschäft verderben könnte. Sie sollten Recht behalten: In Schweden hat IKEA heute einen Marktanteil von rund 20 Prozent. Kamprad trickste sie aus, indem er Tische, Stühle und Schränke einfach aus Polen und später aus anderen Ländern importierte. Heute gleicht die IKEA-Palette geradezu einer Landkarte der Globalisierung: CD-Ständer aus Vietnam, Regale aus Russland, Plastikschüsseln aus Italien, Gardinen aus Indien. Das eine oder andere Produkt ist auch noch aus Schweden.
Was Kamprad das Leben aber mindestens so schwer machte wie die Feindschaft der Konkurrenz, waren Enthüllungen der Boulevardzeitung »Expressen« im Jahr 1994. In den 90er Jahren waren Archivdokumente über solche Schweden zugänglich geworden, die mit Hitlerdeutschland sympathisiert hatten oder in schwedischen Nazi-Parteien aktiv gewesen waren. Darin tauchte auch der Name Kamprad auf. Der IKEA-Gründer war in seiner Jugend ein Verehrer Adolf Hitlers und des Anführers der schwedischen »Nationalsozialistischen Arbeiterpartei« (NSAP), Sven Olov Lindholm, gewesen. Lindholms Anhänger forderten noch Jahre nach 1945 die Einführung von »Rassenbiologie und -hygiene« als obligatorisches Schulfach und wollten Eheschließungen mit Juden verbieten.
»Lindholm war mein erstes Idol auf meinen ideologischen Irrwegen«, bekennt Kamprad gegenüber Bertil Torekull. Als Lindholm ihm später zu extrem erschien, zog es Kamprad auf die Seite des aus seiner Sicht gemäßigteren Per Engdahl und dessen »Nysvenska rörelsen« (Neuschwedische Bewegung). Zu Engdahl hatte der IKEA-Gründer auch persönlichen Kontakt. Er besuchte Veranstaltungen, las seine Zeitung, verteilte Flugblätter und schließt heute nicht aus, auch Mitglieder geworben zu haben.
Auch Vorwürfe, Kamprad habe Engdahls Bewegung finanziell unterstützt, wurden in den 90er Jahren laut. Als Kamprad 1950 seine erste Frau Kerstin heiratete, lud er Engdahl zur Hochzeitsfeier ein. Als 25-Jähriger wandte er sich von Engdahl ab. Erst nachdem seine »Affäre« vom »Expressen« aufgedeckt worden war, sprach er aber öffentlich darüber, räumte seine früheren Nazi-Sympathien ein und entschuldigte sich bei jüdischen IKEA-Mitarbeitern.
In Torekulls Buch spricht Kamprad von einer Zeit der »Verwirrungen« zwischen seinem 16. und dem 25. Lebensjahr. Auch von einer »Krankheit« ist da die Rede, mit der er sich angesteckt habe, weil schon sein Vater und seine Großmutter - die aus Deutschland eingewanderte Franziska - überzeugte Nazis gewesen seien. So habe er schon als Kind Diskussionen in der Familie aufgeschnappt und Nazi-Zeitungen durchblättert, die ins Haus flatterten.
Wenn schwedische Medien Ingvar Kamprad dieser Tage porträtieren, findet die »Nazi-Affäre« manchmal noch Erwähnung, doch aufregen will sich darüber kaum jemand mehr. Über die Aktivitäten schwedischer Nationalsozialisten und die Fragen, wie viele von Adolf Hitler, Sven Olov Lindholm oder Per Engdahl begeistert waren, und wie viele junge Männer sich freiwillig der Waffen-SS anschlossen, wird zwar immer noch geforscht. Geht es aber um Ingvar Kamprad, so ist dessen »Krankheit« fast vergessen. Er ist bekannt als sparsamer und erfinderischer Unternehmer, der bald die halbe Welt mit Billigmöbeln in schwedischem Design versorgt und nebenbei zu einem der größten Exporteure von schwedischem Knäckebrot, Würstchen und »Köttbullar« aufgestiegen ist.
Auch Probleme mit Gewerkschaften, wie etwa in Deutschland in der Debatte um Öffnungszeiten, können das Bild des Mannes, der das Volksheim einrichtete, kaum mehr trüben. Ingvar Kamprad ist überzeugt, dass sein IKEA-Imperium nicht nur Profite ermöglicht, sondern auch den Menschen einen Dienst erweist - ob sie in den Möbelhäusern arbeiten oder die IKEA-Produkte herstellen. Rund 90 000 Menschen beschäftigt IKEA heute, aber »das meiste ist immer noch nicht getan«, sagt Kamprad. Nicht mehr alle Fäden zieht er heute allein, aber das Filialnetz wird weiter ausgebaut, neue Märkte werden erschlossen. Und irgendwann sollen die drei Söhne das Steuer übernehmen.