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  • Politik
  • Goethes »Faust I« in neuer Inszenierung wieder in Weimar

Klassik kann Spaß machen

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Christoph Funke

Wohl immer, wenn im Deutschen Nationaltheater Weimar Goethes «Faust» aufgeführt wird, stehen sich im Publikum die Texttreue fordernden Konservativen und die Neugierigen, von Vorbildern Unbelasteten gegenüber. Diesmal, im März 2001, trat der 1948 in Weimar geborene Schauspieler Thomas Thieme mit den Regisseuren Julia von Seil und Karsten Wiegand an, um den Neugierigen Recht zu geben und Spaß zu machen.

Thieme gehört, besonders als langjähriges Mitglied der Berliner Schaubühne, zu den führenden «schweren» Schauspielern des deutschen Theaters, er spielte und spielt in Frankfurt/Main, Bochum, Wien, führt zunehmend auch Regie 1997 inszenierte er in Weimar sein eigenes Stück «August». Und als Faust nutzt er die gedrungene, kraftgeladene Gestalt, den fast schon kahlen Schädel, die hallende Stimme, um einen Gelehrten zu zeigen, der nicht verzagt ist, sondern wütend, rasend zornig über den geringen Ertrag anstrengendster geistiger Arbeit.

Diese Anstrengung wird von Anfang an sinnlich gemacht. Thiemes Faust windet sich, kriechend, liegend, hockend, unter einer riesigen Lesemaschine, einem Schöpf- und Folterrad, beladen mit Büchern und Papieren. Als er die Geister zwingen will, ihm zu Diensten zu sein, malt er in rasender Anstrengung eine liegende Acht, das Zeichen für Unendlichkeit, mit Kreide auf den Boden, bis zur Er Schöpfung. Sein Faust ist ein Kerl voller Sinnlichkeit, der alles haben will, alles auskostet, auch die Wut, die Niederlage.

Und dann, plötzlich, wird er ein ganz anderer. Der Trank der Hexe, sichtbar rinnt dem vom tollen Treiben angewider ten Gelehrten der rote Saft aus der Flasche in die Kehle, macht ihn staunen. Die schwere Joppe verschwindet, der Kragen wird gelockert, und allmählich rappelt sich Thieme als so «verzauberter» Faust in die Jugend zurück, lockert die Glieder, lässt die, Muskeln spielen, wird bereit für das Abenteuer der Liebe, nicht lüstern, sondern staunend.

Vielleicht ist die Gretchen-Geschichte, die er nun erlebt, nur ein Traum, eine erotische Sehnsucht denn es gibt auf der Bühne (Bärbl Hohmann und Barbara Kaesbohrer) nur einen großen roten Würfel, nichts sonst. Alles kommt aus der Fantasie - Gretchens Stube und der Garten, der Zwinger, der Dom. Die Figuren selbst bauen ihre Welt, begegnen sich leicht, flüchtig und doch mit der bangen Ahnung vom großen Glück und der Angst vor tiefer Ver zweiflung. Für Faust, so zeigt Thieme, ist die Begegnung mit Gretchen eine anmutige Erholung, eine Pause in der Arbeit. Er wird zum Schluss, wenn Gretchen auf das Leserad gebunden ist und der Hinrichtung entgegensieht, gehen müssen, wieder belastet, wieder alt geworden, zu neuer Ar beit.

Aber es scheint nur so, als würde Goethes Tragödie in Weimar so brav, so szenengetreu erzählt. Faust tritt mit seinem jungen, fast noch pubertierenden Mephisto gegen eine Öffentlichkeit an - die Damen und Herren des Weimarer Opernchores. Diese wandlungsfähige Gruppe, flüsternd und singend, spielend und tanzend, bringt sich mit Musik von Bach bis Biermann ins Geschehen ein, oft bewusst laienhaft in kleinen Rollen, dann wieder in professionellem Gesang (Leitung: Andreas Korn und Jens Petereit).

Der Chor steht für ein Volk, das zusieht und mitmacht, das warnt und kommentiert, das aber nichts ändern kann und will. Zumal Thiemes Faust die Menge kaum wahrnimmt, der Einzelgänger, der Verschlossene bleibt - nur gegenüber Gretchen nicht, und während der Liebesgeschichte zieht sich der Chor zurück.

Nicht zuletzt aber ermöglicht er einen schnellen, unterhaltsamen Ablauf der Geschichte - und darauf kommt es an.

Die Regisseure haben Goethes Text munter gestrichen, zurechtgeschnippelt, umgestellt und ergänzt. Die Meerkatzenfamilie der Hexenküche deklamiert den «Zauberlehrling», in Auerbachs Keller marschiert eine völlig verblödete Zwölfer gesellschaft auf, die keinen Satz von Goethe mehr kennt, die Walpurgisnacht ist eine kurze stampfende Orgie mit der Präsentation schuldiger und unschuldiger Nacktheit. Rasch will die Inszenierung ans Ziel, sinnlich will sie bleiben und die Lasten achtungsvoller Bewunderung vor der großen Dichtung abstreifen.

Das führt nicht zur Beschädigung der Tragödie, weil Schauspieler da sind, die ein geistiges Zentrum schaffen. Neben Thieme, der nicht nur kraftvoll trumpfend, sondern auch ganz leicht, ganz leise ganz zauberisch entrückt sein kann, Marek Harloff als Mephisto und Claudia Mev er als Margarete. Harloff zeigt den Jungen, der sich am körperlichen und geistigen Volumen des Alteren misst, er macht sich klein, schmal, fast unscheinbar.

Besonders, gewöhnungsbedürftig ist dieser Mephisto-Junge von der Straße mit einer Spur Homoerotik und hoher, leicht heiser gefärbter Stimme allerdings schon. Claudia Mevers Gretchen hat, was oft nicht gelingt. Natürlichkeit, Geradheit, Kraft. Ohne Attitüde, ohne süßliche Naivität oder emanzipatorisches Gehabe gelingt ihr eine selbstbewusste junge Frau. Es gab jubelnden, lang anhaltenden Beifall in Weimar - wenn auch einige Goethe- Verehrer, weniger als erwartet, ob der Frechheiten der Inszenierung in der Pause aufgaben.

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