»Da ist irgendetwas komplett schief gelaufen ...«

Das neue Patientenrechtegesetz - die Vor- und Nachteile (Teil 4 und Schluss)

  • Lesedauer: 5 Min.
Seit dem 26. Februar 2013 ist das neue Patientenrechtegesetz in Kraft. In einer vierteiligen Serie haben die Autoren, Rechtsanwältin Anke Plener und Rechtsanwalt Volker Loeschner aus Berlin, die vor dem Ausschuss für Gesundheit und Recht des Deutschen Bundestages als Einzelsachverständige zu diesem Gesetz gehört worden waren, die Probleme mit dem Gesetz in der Praxis aufgezeigt. Im letzten Teil 4 geht es um praktische Tipps für die Patienten für Ausnahmesituationen.

»Da ist irgendetwas komplett schief gelaufen«, sagte der Arzt dem Patienten. Beginnt da die Verjährungsfrist und hätte der Patient sofort einen Anwalt aufsuchen müssen?

Diese Frist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstand und der Patient von den anspruchsbegründeten Umständen - also dem Behandlungsfehler - des Behandelnden Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Ab ihrer Kenntnis wird also die regelmäßige Verjährungsfrist von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen von grundsätzlich 3 Jahren (§ 195 BGB) relevant.

Ist für den Patienten ein Behandlungsfehler erkennbar?

Vorliegend ist die Mitteilung zu vage. Sie führt nicht zu einer Kenntnis des Patienten, ihm ist keine grob fahrlässige Unkenntnis vorzuhalten. Er hätte nicht nachfragen müssen, was die Aussage bedeutet, denn er ist Laie und muss nicht zwingend auf einen Behandlungsfehler schließen. Der Patient kann nicht erkennen, ob aufgrund der Krankheit oder in der Behandlung etwas »schief gelaufen« ist, was den Schaden verursachte.

Allein der negative Ausgang einer Behandlung führt ohne weitere sich aufdrängende Anhaltspunkte für ein behandlungsfehlerhaftes Geschehen nicht zur Kenntnis oder fahrlässigen Unkenntnis. Das Ausbleiben des Erfolgs muss nicht in der Unzulänglichkeit ärztlicher Bemühungen seinen Grund haben, sondern kann schicksalhaft auf die Erkrankung zurückzuführen sein (GesR 3/2010, Seite 132).

Vertreten wird, Kenntnis bestehe ab Vorliegen eines medizinischen Sachverständigengutachtens, welches den Fehler belegt. Bei kosmetischen Operationen treten oft Komplikationen auf, über die nicht aufgeklärt wurde. Dann entdeckt der Patient im Misserfolg etwas, was er vorher nicht wusste und erlangt Kenntnis. Bei Behandlungsfehlern mag im Einzelfall sogar ein Gutachten allein nicht ausreichen. So führt die rechtliche Würdigung zur Erkenntnis bestehender Ansprüche. Dies kann die Kenntnis auslösen, so dass die Verjährungsfrist im Gespräch mit dem Anwalt beginnt.

Die meisten Patienten, die einen Patientenanwalt aufsuchen, haben den Wunsch, ein Strafverfahren durchzuführen. Davon ist jedoch in der Regel abzuraten. Zwar hat ein Nebenklagevertreter gemäß § 406e Strafprozessordnung (StPO) das Recht, in die Verfahrensakten einzusehen, aber Sachverständige sind im Strafverfahren vorsichtiger in der Beurteilung, so dass kaum ein Erfolg des Patienten im Sinne einer Verurteilung zu erwarten ist. Das liegt daran, dass im Strafverfahren der sogenannte »in dubio pro reo«-Grundsatz gilt: Im Zweifel für den Angeklagten.

Unterlassene Befunderhebung und Beweislastumkehr

Häufig sind medizinische Verläufe schicksalhaft oder werden nicht zu 100 Prozent auf einen Fehler zurückgeführt. In einem Strafverfahren bedeutet dies, der Angeklagte wird freigesprochen, weil ein Sachverständigengutachten die strafrechtliche Kausalität verneint. Wird zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes ein CTG - der sogenannte Wehenschreiber - unterlassen, so ist zwar anzunehmen, dass auf diesem eine Unregelmäßigkeit aufgefallen wäre, jedoch beschreibt der Sachverständige diese Wahrscheinlichkeit mit nur etwa 85 Prozent. Strafrechtlich führt dies zum Freispruch.

Zivilrechtlich sieht es anders aus: Bei einer unterlassenen Befunderhebung kommt es zur sogenannten Beweislastumkehr, so dass der Patient den Prozess gewinnt, wenn der vorgetragene Kausalverlauf nicht völlig ausgeschlossen ist. Bei 85 Prozent ist eindeutig mit einer zivilrechtlichen Verurteilung des Behandelnden zu rechnen, so dass der Patient Schadenersatz und Schmerzensgeld erhält.

Unabhängige Beratung und Zweitmeinung

Missverständnisse zwischen Arzt und Patient können auch auf wenig verständliches Deutsch zurückzuführen sein. Eine kostenlose Übersetzung der Diagnose aus der Fachsprache des Arztes ist online unter www.was-hab-ich.de möglich. Alle Arzneimittel-Beipackzettel können Laien auf www.gelbe-liste.de nachlesen.

Daneben empfiehlt sich auch die Information über die Krankenkasse oder die unabhängige Patientenberatung. Für eine Rekonstruktion der Abläufe ist es sinnvoll, ein Gedächtnisprotokoll zu führen und den Behandlungsverlauf zu notieren, damit bei einem Gutachten auch die Patientenperspektive berücksichtigt wird.

Heute sind für jeden Interessierten medizinischen Fachbücher und Fachzeitschriften erreichbar. Es lohnt sich, einen Blick in die Fachliteratur zu werfen, um die Begutachtung selbst zu überprüfen. Für die Begutachtung ist der Zeitpunkt des Behandlungsfehlers maßgebend, daher müssen Fachbücher und Zeitschriften aus diesem Zeitpunkt Verwendung finden.

Bei der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin (Gleuelerstr. 60, 50931 Köln) sind auch jahrzehntealte, medizinische Abhandlungen gegen Gebühr bestellbar. Richtlinien und Leitlinien zum facharztmedizinischen Standard lassen sich unter www.awmf.org finden.

Die Kommunikation mit dem Arzt ist aber die wichtigste Brücke, um lange Prozesse zu vermeiden. Gerade wenn der Patient das Vertrauen zu einem Behandelnden verloren hat, kann dringend dazu geraten werden, eine Zweitmeinung einzuholen.

Die gesetzliche Krankenversicherung ist auch gesetzlich verpflichtet, die Vorstellung bei einem anderen Arzt zu bezahlen. Hier hat der Patient die Möglichkeit, die Fragen zu stellen, die ihm der erste Arzt nicht beantworten wollte. Zu diesem Zweck ist es ratsam, die Behandlungsunterlagen beim Vorbehandelnden abzufordern. Die Rechte auf Behandlungsunterlagen in Kopie gegen Kostenerstattung sind nunmehr in § 630g Abs. 1 und 2 BGB gesetzlich geregelt (Papierkosten nach § 7 Abs. 2 Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz 50 Cent/Seite für die ersten 50 Seiten, ab 51. Seite nur noch 15 Cent pro Seite).

Auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. November 1982 (NJW 1983 Seite 328 ff.) ist hinzuweisen, wonach der Patient einen jederzeitigen Anspruch auf Übersendung von Kopien der Behandlungsunterlagen auf seine Kosten hat. Ferner ergibt sich das Recht aus einer vertraglichen Nebenpflicht des Behandlungsvertrages, aus § 810 BGB sowie §§ 19 und 34 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und ebenso aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Der Behandelnde darf hier die Unterlagen nur verweigern, wenn dem »therapeutische Gründe« oder Rechte Dritter entgegenstehen.

Ein Sonderfall sind die Röntgenaufnahmen

Ein weiterer Sonderfall liegt bei Röntgenaufnahmen vor: Die Röntgenaufnahmen sind Eigentum des Arztes, der Patient aber hat ein Beweisführungsrecht. Einen Anspruch auf vorübergehende Überlassung der Originale hat zum Beispiel das Landgericht Kiel (Urteil vom 30. März 2007, Az. 8 O 59/06) bestätigt.

Zudem ist in § 630e Abs. 2 Nr. 3 BGB neu geregelt, dass dem Patienten Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen sind. Auf dieses Recht sollten sich Patienten verstärkt berufen. So wird vermieden, dass später eine Manipulation stattfindet, die unbemerkt bleibt.

Das Fazit: Es lohnt sich für den Patienten, schon vor Einholung eines Sachverständigengutachtens spezialisierte Rechtsanwälte zu kontaktieren.

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