Wenn Polen seine Unabhängigkeit feiert

Statt »Stolz und Freude« prägten Hass und Gewalt den nationalen Gedenktag - aber alles unter weiß-roter Fahne

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Selten zuvor offenbarte sich die tiefe Spaltung der politischen Kräfte und Strömungen Polens derart plastisch wie in den Tagen um den 11. November, den Nationalfeiertag des Landes.

Wenn andernorts Narren die Rathäuser besetzen, gedenkt Polen der Wiedererlangung seiner nationalen Unabhängigkeit im Jahre 1918. Das Bild, das die Nation um diesen 11. November auf der Straße und in den Medien bot, war jedoch das eines völlig verwirrten Knäuels. Die tatsächlichen Diskrepanzen in der Gesellschaft, das Gefälle zwischen Reichtum und Armut, zwischen Nutznießern der Demokratie und denen, »die ihre Chance verpasst haben«, blieben dabei fast unsichtbar.

Den Nationalfeiertag prägte stattdessen ein Gemisch aus selbstherrlichem Rausch und aggressivem Frust. Nach dem üblichen militärischen Zeremoniell auf dem Warschauer Pilsudskiplatz brach der von Staatspräsident Bronislaw Komorowski angeführte Marsch »Gemeinsam für die Unabhängigkeit« auf und zog mit kurzen Stopps an Denkmälern verdienstvoller Polen zum Schloss Belvedere. Dort wurden am Pilsudski-Denkmal abermals Kränze niedergelegt. Stolz, Freude, Einigkeit und Zufriedenheit seien die wahrhaftigen Merkmale dieses Tages, betonte das Staatsoberhaupt.

Während Komorowski große Genugtuung darüber äußerte, dass »nach Jahren des hitlerschen und des kommunistischen Terrors« 1989 zum zweiten Mal die Unabhängigkeit erkämpft worden sei, sagte sein ehemaliger »Solidarnosc«-Gefährte Jaroslaw Kaczynski, Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die wahre Unabhängigkeit müssten die Polen erst noch gewinnen. Kaczynskis Anhänger, am Sonntag in Warschau und am Montag in Kraków aufmarschiert, begleiteten seine scharfe Rede mit Rufen wie »Fort mit der Kommune«(!). »Wir werden noch zeigen, wie stark wir sind, um Ordnung zu schaffen«, setzte Kaczynski noch einen drauf.

Um sich als einzige Alternative zur Herrschaft der »Postkommune« (!) darzustellen, hatte der PiS-Führer seine Kolonne bereits am Sonntag in Warschau zusammengetrommelt. Doch die »Allpolen« und die »Radikalen Nationalisten« machten ihm seinen Alleinvertretungsanspruch mit einem gewaltigen Fackelzug am Montag eindrucksvoll streitig. Über 50 000 meist junge »wahre Polen«, manche unter dem Porträt von Johannes Paul II., riefen »Sierpem i młotem w czerwoną hołotę« (Mit Sichel und Hammer auf das rote Pack). Von einer eigenen Schutzstaffel eskortiert, steckten sie einen großen Regenbogen als »Symbol der fremden Pest« in Brand, griffen die Häuser antifaschistischer Besetzer an und lieferten sich einen »Steinekrieg« mit der Polizei. In der Belwederska-Straße bewarfen sie die Botschaft der Russischen Föderation mit Knallkörpern und zündeten das Wachhäuschen an. Tags darauf wurde Polens Botschafter ins russische Außenministerium bestellt: Gefordert wurde eine Entschuldigung der polnischen Regierung.

Ein »anderes Polen« war in den bewegten Tagen auch anwesend, aber wenig sichtbar. Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, marschierten Antifaschisten von der Universität zum ehemaligen Umschlagplatz und eine Delegation des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) legte am Hügel der Warschauer Zitadelle dort Kränze nieder, wo polnische Revolutionäre zur Zarenzeit gehängt wurden.

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