Der V-Mann Brandt war’s, sagte der »Umweltschützer«

Beim Münchner NSU-Prozess wurde ein Thüringer Neonazi als Zeuge aufgerufen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Dass André Kapke in der »Sache NSU« vor Gericht erscheinen muss, geht in Ordnung. Doch angesichts dessen, was der Rechtsextremist auf dem Kerbholz hat, fragt man sich: Wieso kommt der nur als Zeuge?

André Kapke, geboren 1975 in Jena, rechtsextrem, erscheint geistig so dumpf wie er gewalttätig ist. Die Ermittler sehen in ihm einen der führenden Neonazis in Thüringen. Schließlich war er Chef der »Kameradschaft Jena«, die toten NSU-Mitglieder Böhnhardt und Mundlos einst seine Stellvertreter. Auch im Thüringer Heimatschutz (THS) war Kapke vorneweg. Und die gestern gesteigerten rechtsextremistischen Internetaktivitäten, bei denen gegen den Münchner »Schandprozess« gegeifert wird, zeigen, dass der Zeuge nicht irgendein dahergelaufener Neonazi ist.

Eigentlich sollte Kapke schon am Mittwoch aussagen, doch die Befragung der Mutter von Uwe Böhnhardt zog sich. Dumm für Kapkes Gesinnungsgenossen. Sie mussten sich also auch am Donnerstag wieder in die Schlange der Prozessbesucher einreihen. Warum? Kameradenpflicht. Natürlich stärken Rechtsextreme den Bedrängten den Rücken. Doch die Anwesenheit von Kameraden im Saal hat nicht nur nicht solidarische Gründe. Man will sicher sein, dass der Zeuge nicht zu eifrig Auskunft über die Neonaziszene in Thüringen, in Deutschland und darüber hinaus gibt. Denn der weiß viel. Da fragen sich natürlich auch die besten Kameraden, wieso Kapke nicht neben Beate Zschäpe auf der Anklagebank sitzt. Ein Blick in die von ihm beim Bundeskriminalamt (BKA) unterschriebenen Vernehmungsprotokolle bestätigt: Der Mann versteht es, seine Haut zu retten. Und gibt nur zu, was verjährt ist.

Nach dem Untertauchen des späteren NSU-Trios Anfang 1998 sei in der Szene diskutiert worden, wo man die Drei unterbringen kann. Der THS-Führer und später als V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz enttarnte Tino Brandt habe ihn gebeten zu helfen, sagte Kapke. Was da so schlagzeilenträchtig daherkommt, ist ein alter Hut. Der sich aber aus Sicht der Nazis gut gegen den Verräter Brandt wenden lässt.

Bekannt ist, dass der gestrige Zeuge 1998 in Berlin bei zwei Neonazis um Hilfe für das abgetauchte Trio gefragt hat. Auch seine Tour nach Südafrika, die er zusammen mit einem anderen THS-Mitglied zum Rechtsextremisten Claus Nordbruch unternommen hat, ist aktenkundig. Südafrika war als Fluchtpunkt für die NSU-Zellenmitglieder im Gespräch. Irgendwie hielt Kapke lange Kontakt zu den Untergetauchten, wenngleich er stets bestritt, dass es ein direkter gewesen sei. Er verkaufte das NSU-Unterstützer-»Spiel« namens »Pogromly« in der Szene und soll sich um die Beschaffung von Pässen bemüht haben. Das war der Punkt, an dem sich die Wege Kapkes und des nun in München mitangeklagten Ralf Wohlleben zeitweise trennten. Angeblich hat Kapke bei der Dokumentenaktion 4000 D-Mark veruntreut.

Bis dahin galten die beiden als Gespann. Der bullige Kapke gefiel sich als Wohllebens Werkzeug. Er fuhr bei Aufmärschen den Lautsprecherwagen, schleppte bei der Hochwasserkatastrophe eine Gulaschkanone zu Helfern. Und er hat mit Wohlleben jahrelang das »Fest der Völker« organisiert, zu dem aus ganz Europa bis zu 1500 Neonazis anreisten. 1998 stieg Wohlleben zum NPD-Landesvorsitzenden auf. Man vertrug sich wieder und wohnte gemeinsam im »Brauen Haus« in Jena, das zum Treff und zur Festung der Rechtextremisten in Thüringen wurde.

Die Vernehmung lief gestern zäh. Der Vorsitzende Richter Manfred Richter Gölzl wollte dem Zeugen nicht viel Freiraum geben, dennoch schwafelte der über dies und das - sagte also kaum etwas. Er beschrieb Mundlos als »charakterstark«, Böhnhardt sei »nicht dumm« gewesen und Zschäpe habe er »menschlich sehr geschätzt«. Dann outet er sich als Umweltschützer. Die Atomkippe Gorleben sei für ihn ein »maßgeblicher Punkt« gewesen, es könne nicht geduldet werden, dass die Industrie Atommüll verbuddle, sagte der Mann, der eine Bude namens »Chaosbau 24« betreibt.

Offensichtlich interessierte Kapke sich nicht nur für Umweltthemen. Bereits im Juli hatte ein Ermittler des Bundeskriminalamtes ausgesagt, Brandt, Wohlleben und Kapke hätten Strategiedebatten geführt. Dabei sei es auch um den Einsatz von Waffen bei der Durchsetzung politischer Forderungen gegangen.

Gestern gab der Zeuge nur zu, dass in seinen Kreisen natürlich eine »Grundstimmung gegen Ausländer« geherrscht habe. Nicht gegen einzelne, sondern gegen die liberale Politik, die Zuzug ermögliche. Schließlich, so meinte Kapke, zupfe man nicht nur ein paar Blätter, wenn man etwas gegen »Unkraut« machen will. Man müsse »an der Wurzel anfangen«.

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