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Terrorzuchtprogramme

Jürgen Todenhöfer träumt vom endlichen Frieden

  • Heinz-Dieter Winter
  • Lesedauer: 4 Min.

Als der vierjährige Jürgen am 19. März 1945 die Schrecken des Bombenangriffs auf Hanau erlebte, fragte er seinen Großvater: »Darf man im Krieg auch Kinder töten?« Dass in den Kriegen unserer Zeit unschuldige Menschen, Männer, Frauen wie Kindern getötet werden, erlebte der spätere Bundestagsabgeordnete der CDU und Medienunternehmer Jürgen Todenhöfer immer wieder. Er hat es sich seit dem zur Aufgabe gemacht, die Kriege, die der Westen heute führt, »als Rückfall in die Barbarei« zu schildern, die Schuldigen zu entlarven und zu helfen, Leid zu lindern. Vor allem aber auch die Beendigung von Kriegen durch politische Lösungen immer wieder einzufordern.

Als Student war er 1960 nach Algerien gereist. Er erfuhr von Massakern der französischen Kolonialarmee, denen über zwei Millionen Algerier zum Opfer fielen. 1973 erschütterte ihn die Nachricht über die Ermordung von etwa 400 Einwohnern des mosambikanischen Dorfes Wiriyamu durch die portugiesische Kolonialarmee. Lissabon leugnete. Doch Todenhöfer reiste nach Mosambik und berichtete über dieses Verbrechen.

Seit 1980 ist er immer wieder in Afghanistan, Pakistan, Irak, in Ägypten, Libyen, Iran, im Gaza-Streifen und Syrien. Nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan nahm er an der pakistanisch-afghanischen Grenze Kontakt zum Mudschaheddin-Führer Hekmatyar auf: Freiheitskämpfer dürften keine Zivilisten töten. Das blieb ein frommer Wunsch. Nach dem George W. Bush jun. Afghanistan mit Krieg überzog, um angeblich Al-Qaida zu bekämpfen (von der 99 Prozent der afghanischen Bevölkerung bis dahin nie etwas gehört hatten), übergab Todenhöfer dem USA-Botschafter in Bonn einen Brief an den US-Präsidenten, in dem er diesen bat, nicht die unschuldige afghanische Bevölkerung für die Attentate von Terroristen büßen zu lassen. »Kriege sind Terrorzuchtprogramme«, weiß Todenhöfer. Im September 2009 starben auf Grund eines Befehls des Bundeswehroberst Georg Klein 137 afghanische Dorfbewohner, darunter 36 Kinder, im Kunduz-Tal. Todenhöfer dokumentiert das Leid der Überlebenden. Für die Waisenkinder von Kunduz hat er ein Heim bauen lassen.

Über die Eindrücke eines Besuches im Irak im Sommer 2009 schreibt er: »Bagdad wird für mich immer das Symbol eines sinnlosen und auch verbrecherischen Angriffskrieges sein.« Die USA haben Irak nicht befreit, sondern zerstört. Der 13-jährigen Marwa, die bei einem US- Bombenangriff ein Bein verlor, verhalf Todenhöfer zu einer Operation in Deutschland.

In Iran erklärten ihm seine Gesprächspartner, die westliche Politik ihrem Land gegenüber würde auch oppositionelle Iraner in ihrem Stolz verletzen. Todenhöfer meint, dass mit dem neuen Präsidenten Hassan Rohani ein neues Kapitel beginnen könne. Wenn Präsident Obama einen fairen Frieden mit Iran wolle, könnte er ihn bekommen.

Im Februar 2011 war der Autor in Kairo auf dem Tahrir-Platz, als Mubarak gestürzt wurde. In Tunis hörte er sich die Wünsche der Jugend nach Freiheiten und Überwindung sozialer Nöte an.

Ausführlich schildert Todenhöfer die jüngste Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg. Er weilte auf den Kriegsschauplätzen in Aleppo, Daraa und Homs und stellt fest, dass die westliche Medienberichterstattung - gestützt auf zweifelhafte Quellen - weit von der Realität entfernt ist. . Er trifft Zeugen von Massakern wie dem von Hula im Mai 2012 - von Rebellen an regierungstreuen Zivilisten begangen. Durch manipulierte Videos wurde jedoch die syrische Armee dessen beschuldigt. Die Bundesregierung verwies daraufhin den syrischen Botschafter des Landes.

Todenhöfer spricht mit Regimegegnern, solchen die die Gewalt ablehnen, und jenen, die den bewaffneten Kampf bis zum Ende führen wollen. Nach Schätzungen sind etwa 40 Prozent der syrischen Bevölkerung immer noch Anhänger von Assad. Durch den von Saudi-Arabien und Katar geschürten Bürgerkrieg sieht Todenhöfer ein säkular regiertes Land zerfallen, in dem einst Sunniten, Schiiten, Alawiten, Christen und andere ethnisch-religiöse Gemeinschaften in beispielhafter Toleranz zusammen gelebt haben. Das Oberhaupt der melkitischen griechisch-katholischen Kirche, Gregorios III., äußerte gegenüber dem Autor, dass Syrien unter Bachar Al-Assad »zum tolerantesten und insoweit auch demokratischsten Land des Mittleren Ostens geworden« sei. Todenhöfer sprach selbst mit Präsident Assad. Sein Interview erregte Aufmerksamkeit. Todenhöfer hält Assad für einen durchaus reformwilligen Politiker und nennt ihn eine »tragische Figur«. Vergeblich bemühe er sich um eine Verhandlungslösung.

Todenhöfer hat sein Buch seinem libyschen Freund Abu Latif gewidmet, der an seiner Seite tödlich getroffen zusammenbrach, als sie bei Brega in das Granatfeuer der auf Bengazi vorstoßenden Armee Ghaddafis gerieten.

Jürgen Todenhöfer:
Du sollst nicht töten. Mein Traum vom Frieden. C.Bertelsmann. 447 S., geb., 19,99 €

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