Wehe, der Boden macht dicht

Könnten Böden nach Luft schnappen, wäre auf vielen Feldern nur noch Japsen zu hören. Schuld sind vor allem schwere Maschinen sowie das Befahren bei ungünstigem Wetter

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Regen bringt es an den Tag: In den Traktor-Spurrinnen auf Äckern staut sich Wasser, weil dort der Boden unter dem Reifenabdruck tonnenschwerer Fahrzeuge zusammengepresst worden ist. Das passiert vor allem an den Ackerrändern, wo Traktoren oder Erntemaschinen wenden und das Erdreich besonders häufig belasten - mit üblen Folgen: Regenwasser kann schlechter versickern, was zeitweiligen Wassermangel im Sommer verschärft. Aber auch Luft gelangt schlechter in verdichtete Boden, was für viele Kleinlebewesen ungünstig ist. Schließlich können in zusammengequetschten Böden die Pflanzenwurzeln schlechter wachsen, gerade bei breiten Fahrspuren, die sie schlechter umwachsen können als die früher üblichen schmalen, die zudem von sehr viel leichteren Fahrzeugen in die Erde gedrückt wurden.

All das sind Alarmsignale. Denn auf den allermeisten Äckern Mitteleuropas und auch in Wäldern fährt schweres Gerät umher; neben zehn und mehr Tonnen schweren Traktoren auch Maschinen zur Rübenernte. Manche dieser Rübenroder wiegen selbst bereits etwa 40 Tonnen; beladen können sie den Erdboden mit über 50 Tonnen belasten. Auch mancher Mähdrescher presst das Erdreich mit über fünf Tonnen pro Rad zusammen.

»Böden sind global unter Druck«, urteilt Rainer Horn von der Universität Kiel. Der Fachmann für die physikalischen Eigenschaften von Böden meint das auch wörtlich. Wenn schweres Gerät über Äcker pflügt, zerquetschen ihre Reifen das für die Fruchtbarkeit der Kulturböden so wichtige Lockergefüge, zum Beispiel die Röhren von Regenwürmern. Vor allem feuchte, lehmige Böden werden dabei bis in Tiefen von etwa anderthalb Metern und sogar darüber hinaus zusätzlich verdichtet. Das zuvor krümelige und damit wirtschaftlich wie ökologisch günstige Gefüge wird buchstäblich plattgemacht.

Da sich die Bodenteilchen dabei neu ordnen, nämlich ungefähr im rechten Winkel zur Auflast und folglich horizontal, sickert Regenwasser kaum noch in die Tiefe, sondern läuft parallel zur Bodenoberfläche nach den Seiten hin ab und nimmt dabei die Bodenkrume mit. So wird der Bodenabtrag (Erosion) deutlich verstärkt. Rainer Horn zufolge sind in Europa bereits mehr als 32 Millionen Hektar Kulturland durch Bodenverdichtung verloren gegangen - eine Fläche fast so groß wie Deutschland. Auch die jährlichen Ernteverluste durch zerstörte Böden bezeichnet der Bodenwissenschaftler als »besorgniserregend«.

Bodenverdichtung sei »in vielen Fällen unumkehrbar«, urteilt auch Winfried Blum, bis 2009 Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien. Ein zusammengedrückter Boden sei auf natürlichem Wege nur schwer - wenn überhaupt - wieder zu lockern. Landmaschinen würden immer schwerer, auch weil »immer höhere Ernteerträge« von den Feldern geholt werden müssten. Um Liefertermine einzuhalten, würden die Landwirte ihre Felder zudem »unter sehr ungünstigen Witterungsbedingungen« abernten, zum Beispiel nach intensivem Regen. Das führe dann »mit Sicherheit zu großen Bodenschäden durch tiefe Verdichtung«.

Die heute üblichen Breitreifen könnten den Schaden nur dann entscheidend verringern, wenn sie noch Maschinen trügen, die lediglich so viel wögen wie vor 40 oder 50 Jahren. Doch Fachleute wie Rainer Horn wissen längst: »Je größer die Radfläche bei gleichem Raddruck«, umso tiefer werde der Boden darunter verdichtet. Denn bei Breitreifen könne das Erdreich im Zentrum der Auflast den Druck kaum noch nach den Seiten hin abgeben, was bei schmaleren Reifen eher gelingt.

Infolgedessen machen moderne Landmaschinen buchstäblich tiefen Eindruck: Selbst leichte Traktoren oder Mähdrescher mit Breitreifen können das Bodengefüge in ungünstigen Fällen noch in Tiefen von mehr als 80 Zentimetern auf Dauer schädigen. Schwerere Mähdrescher und sogenannte Köpfrodebunker für die Zuckerrübenernte lassen das Gefüge der Bodenteilchen auf empfindlichem Untergrund oder bei ungünstiger Witterung selbst noch unterhalb von 1,40 Metern Bodentiefe zusammenbrechen. Zwar verringern große, nicht voll aufgepumpte Breitreifen mit ihrer Aufstandfläche von bis zu 0,75 Quadratmetern den Druck auf die Bodenkrume recht deutlich im Vergleich zu schmalen Reifen. Den tieferen Untergrund jedoch entlasten sie viel weniger. Und er lässt sich später kaum noch lockern.

Schon im eigenen Interesse müssten Bauern die Fruchtbarkeit ihrer Ackerböden möglichst erhalten, ebenso mit Blick auf künftige Nutzer des Erdreichs. Genau deshalb steht im Bundes-Bodenschutzgesetz als eine der »Pflichten zur Gefahrenabwehr« diese: »Jeder, der auf den Boden einwirkt, hat sich so zu verhalten, dass schädliche Bodenveränderungen nicht hervorgerufen werden.«

Doch erstens ist Papier geduldig. Und zweitens zählen zerquetschte Böden nicht gerade zu den hitzig diskutierten Talkshow-Themen. »Die zunehmende Bodenverdichtung wird von der Öffentlichkeit nicht adäquat wahrgenommen«, bedauert auch Thomas Scholten, Präsident der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft. Dabei zählt sie »besonders in der mechanisierten Landwirtschaft weltweit zu den großen Problemen« und schwäche die Böden in erheblichem Ausmaß. »Am Ende sinken die Erträge, der Oberflächenabfluss erhöht sich, und die Bodenerosion verstärkt sich.«

Auch die Bauern reden beim Feierabendbier eher selten über ihre Sorgen wegen eines zerstörten Bodengefüges. »Den Landwirten ist das Thema Bodenerosion präsenter als das Thema Bodenverdichtung, selbst wenn sie Breitreifen kaufen«, sagt Joachim Brunotte vom staatlichen Thünen-Institut für Agrartechnologie in Braunschweig. »Sie können in den Boden halt nicht reingucken.«

Doch der Bodenschutz-Experte ist weit davon entfernt, Alarm zu schlagen. »Wir haben in Deutschland keine flächendeckende Bodenverdichtung.« Das hätten »umfangreiche Statuserhebungen in sechs Bundesländern« ergeben, bei denen sich Fachleute »auf vielen Flächen die Bodenkrume und den Unterboden angeguckt« hätten. Problematisch zerdrückt sei der Ackerboden nur dort, wo Landmaschinen wenden; außerdem in »Fahrgassen, die während des Jahres wiederholt befahren werden, auch um Felder zu düngen oder mit Pestiziden zu besprühen«, oder »auf ganz kritischen Flächen, wo auf schweren Böden bei höchster Bodenfeuchte mit schwersten Maschinen gearbeitet« worden ist. So etwas merkt sich der Boden dann allerdings sehr lange, und manchmal vergisst er es nie mehr.

Ein großer Fortschritt ist laut Brunotte, dass die Felder heute auch dank größerer und weiter ausgreifender Landmaschinen seltener als früher und zudem flotter befahren werden. Mehr als die Hälfte der Äcker hierzulande würden heute »mit einer Geschwindigkeit von sechs bis acht Kilometern pro Stunde nur einmal überrollt«. Um die Schäden gering zu halten, appelliert er dennoch an alle Betriebe und genossenschaftlichen Maschinenringe, den Einsatz von Erntemaschinen überall dort anders zu planen, wo es erfahrungsgemäß viel regnet und Böden leicht verdichtet werden.

Das könnte dann so aussehen, dass eine Erntemaschine »nicht für 800 bis 1000 Hektar zuständig ist, sondern nur für 600 Hektar«. Dadurch bliebe selbst dann genug Zeit für die Ernte, »wenn es gerade 40 Liter pro Quadratmeter geregnet hat« und die schweren Rübenroder »mal vier Tage in der Scheune bleiben« sollten. Bodenschutz sei halt nicht mit Ernten wie am Fließband zu vereinbaren. Das klingt vernünftig. Doch wer mehr Landmaschinen für die gleiche Fläche vorhält und bei Regenwetter in der Scheune lässt, hat höhere Kosten. Und die muss jemand tragen wollen - am Ende vermutlich Steuerzahler und Verbraucher.

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