Was gehört zum Tarifmindestlohn?

Fragen & Antworten nach einem EuGH-Urteil

  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Mindestlohn schafft eine Untergrenze beim Einkommen. Doch wie sieht es mit Sonderleistungen wie Einmalzahlungen aus - kommen die noch hinzu? Nicht unbedingt, meinte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit seinem Urteil vom 7. November 2013 (Az. C-522/12).

Mit dieser Entscheidung stärkte der EuGH Geringverdienern in Deutschland den Rücken. Denn sogenannte vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers können nicht mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Die Leistungen, die etwa der Altersvorsorge dienen, hätten ein sozialpolitisches Ziel und unterschieden sich somit vom Lohn im eigentlichen Sinne, unterstrich der EuGH.

Geklagt hatte ein Gebäudereiniger der DB Services GmbH, die zur Deutschen Bahn gehört. Das Unternehmen hatte dem Mann den tariflichen Mindestlohn von zuletzt 8,15 Euro nicht zahlen wollen und argumentiert, dieser habe in Wirklichkeit bereits viel mehr Geld bekommen.

Die Firma wollte einerseits die vermögenswirksamen Leistungen, andererseits zwei Einmalzahlungen für Gebäudereiniger im Rahmen von Tarifgesprächen in den Mindestlohn einrechnen.

Im Fall der Einmalzahlungen folgte der EuGH der Linie des Arbeitgebers: Es handele sich hier um eine Gegenleistung für normale Arbeit, sofern der Tarifvertrag nichts anderes besage. Die vermögenswirksamen Leistungen hingegen seien keine Komponente des üblichen Verhältnisses zwischen Arbeit und Lohn, hoben die Richter hervor.

Fragen & Antworten aufgrund des EuGH-Urteils zum tariflichen Mindestlohn:

Warum ist die Berechnung des tarifvertraglichen Mindestlohnes wichtig?

Aus Arbeitnehmersicht ist die Sache klar: Je weniger Leistungen bei der Ermittlung des tarifvertraglichen Mindestlohns berücksichtigt werden, desto besser. Denn den Mindestlohn bekommt er ohnehin. Andere Leistungen wie Einmalzahlungen oder Sparverträge kommen nur dann noch hinzu, wenn sie als Teil des Mindestlohns eingestuft werden.

Welche Art von Mindestlöhnen gibt es?

Es gibt derzeit etwa ein Dutzend Branchen-Mindestlöhne, von denen die allermeisten nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz vom Bundesarbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Eine Branche wird bislang nur ins Entsendegesetz aufgenommen, wenn die Tarifpartner diese einvernehmlich wünschen und wenigstens für die Hälfte der Branchenbeschäftigten ein Tarifvertrag besteht. Der Branchenmindestlohn für die Zeit- und Leiharbeit wurde nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf die gesamte Branche »erstreckt«.

Was sagt der EuGH zum Thema Einmalzahlungen?

Sie können Teil des tariflichen Mindestlohns sein. Dies hängt aber vom Tarifvertrag ab. Manchmal vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer solche Zahlungen zum Beispiel, um anstehende Lohnerhöhungen durch einen bald in Kraft tretenden neuen Tarifvertrag vorweg zu nehmen. Ob sie Teil des Lohns sind hängt aber davon ab, was Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart haben.

Was ist mit vermögenswirksamen Leistungen?

Vermögenswirksame Leistungen sollen dem Arbeitnehmer helfen, Vermögen zu bilden. Zum Teil werden sie staatlich gefördert. Beispiele können Lebensversicherungen sein oder Wertpapier-Sparverträge. Damit unterschieden sie sich vom »Lohn im eigentlichen Sinne«. Die Richter lassen aber ein Hintertürchen offen: Denn nun muss das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Lichte des EuGH-Urteils diese Frage klären. Die BAG-Richter hatten den EuGH nur um Hilfe beim Verständnis von EU-Recht gebeten.

Hätte das Urteil Folgen für den gegenwärtig diskutierten gesetzlichen Mindestlohn?

Keine direkten. Denn: Ein Präjudiz für die mögliche Höhe eines gesetzlichen Mindestlohnes ist die EuGH-Entscheidung in keinem Fall. Klarheit gibt es nach Experteneinschätzung aber darüber, welche Leistungen in den Lohn einzubeziehen sind und welche nicht.

Was sollten betroffene Arbeitnehmer aufgrund des EuGH-Urteils jetzt tun?

Wenn es einen Betriebsrat gibt, sollten sie den Betriebsrat um Rat fragen. Zu klären ist dabei, ob sich der Arbeitgeber an die geltende Rechtsprechung - auch an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - hält. Ob also Vergütungsbestandteile wie vermögenswirksame Leistungen oder Erschwerniszulagen - die also in der Sprache der Juristen nicht in innerem Zusammenhang mit der Vergütung der Arbeit stehen - in den Mindestlohn eingerechnet werden. Wenn dies der Fall ist, dann kann der Arbeitnehmer die Differenz zum Mindestlohn einklagen. dpa/nd

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