Neuer Hoffnungsträger gesucht

Matteo Renzi ist der Favorit auf den Vorsitz der italienischen Demokraten

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Sonntag lässt die Demokratische Partei ihren neuen Vorsitzenden wählen. Er wird Guglielmo Epifani ablösen, der die Partei seit Mai kommissarisch leitet.

In der Partito Democratico (PD) hofft man, dass die Wahl des neuen Vorsitzenden endlich für etwas Ruhe sorgen wird. Seit den Parlamentswahlen im Februar, aus denen die PD zwar als stärkste Partei hervorgegangen war, aber ohne die notwendige Mehrheit, um allein oder mit ihrem Wunschpartner SEL (Linke, Ökologie und Freiheit) regieren zu können, herrscht das absolute Chaos. Jeden Tag schießen neue Strömungen oder parteiinterne Organisationen aus dem Boden, es sollen schon 17 sein.

Jede hat ihren eigenen kleinen Anführer und ihre Anhänger, die scheinbar mehr damit beschäftigt sind, sich von den anderen abzugrenzen, als einheitlich als Partei aufzutreten. Den Höhepunkt erreichte das traurige Durcheinander bei der Wahl des Staatspräsidenten im April, als Heckenschützen aus den eigenen Reihen nacheinander mehrere Kandidaten »abschossen«, bevor man sich schließlich auf Giorgio Napolitano einigte, der mit seinen fast 90 Jahren in den sauren Apfel beißen und ein zweites Mandat antreten musste.

Das Wahlvolk darf abstimmen
Die Demokratische Partei (PD) ist wohl die einzige in Europa, bei der der Vorsitzende nicht von den Parteimitgliedern, sondern vom so genannten Wahlvolk bestimmt wird. Jeder Mensch, der in Italien ansässig und über 16 Jahre alt ist, kann mitentscheiden, welcher der drei Kandidaten am Sonntagabend Vorsitzender der größten italienischen Partei sein wird. Er muss nur zwei Euro zahlen und ein Dokument unterzeichnen, in dem er sich mit den allgemeinen Zielen der Partei einverstanden erklärt.   Mit dieser Prozedur, die 2007 bei der PD-Gründung eingeführt wurde, möchte die Partei in erster Linie mehr Mitbestimmung anregen: Die Bürger sollen selbst entscheiden, wer auf lokaler und nationaler Ebene Parteiämter bekleidet, aber auch, wer die Kandidaten der PD für öffentliche Ämter sind, sei es nun ein Bürgermeister oder ein Abgeordneter. Tatsächlich nehmen die Italiener diese Möglichkeit wahr: Bisher haben an den Wahlen immer mindestens 2,5 Millionen Frauen und Männer teilgenommen. am

 

Mit dieser Wahl vollzieht sich auf jeden Fall ein Generationenwechsel. All die Männer und Frauen, die in den letzten 20 Jahren die Politik der Demokraten und ihrer Vorgängerparteien (PCI, PDS, DS und Margherita) in leitender Position mitbestimmt haben, halten sich dieses Mal im Hintergrund. Zwei der drei Kandidaten für das Amt des Vorsitzenden - Matteo Renzi und Giuseppe Civati - sind noch nicht einmal 40 Jahre alt. Der dritte, Gianni Cuperlo, ist 58. Renzi und Civati haben sich bisher nur als Lokalpolitiker ausgezeichnet, während Cuperlo auf eine lange parteiinterne Karriere zurückblicken kann, die er als Vorsitzender der Jungen Kommunisten begann.

Natürlich wird die Partei auch nach der Wahl des Vorsitzenden zerstritten bleiben; aber »der Neue« ist dann durch einen breiten Konsens legitimiert, der - so zumindest die Hoffnung - aus ihm einen wirklichen Parteiführer machen kann, der nicht bei jeder Entscheidung taktieren muss. So sollte sich eine klar definierte Parteilinie ergeben, der sich alle verpflichtet fühlen.

Vor der Wahl des Vorsitzenden, an der nicht nur Parteimitglieder teilnehmen können (siehe Kasten), fanden lokale und regionale Kongresse statt, bei denen der Antrag Matteo Renzis die meisten Stimmen erhielt, gefolgt von Cuperlo und weiter abgeschlagen Civati. Für die PD stellten diese Kongresse einen großen internen Erfolg dar: Hunderttausende (die Partei hat über 600 000 Mitglieder und gilt damit als mitgliederstärkste in Europa) nahmen an den oft extrem hitzigen Diskussionen teil, bei denen es mehrmals sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein soll.

Einer der wichtigsten Diskussionspunkte ist und bleibt die Haltung zur augenblicklichen Koalitionsregierung, die von PD-Mitglied Enrico Letta angeführt wird. Alle drei Kandidaten sagen immer wieder, dass dies sicherlich keine »Wunschregierung« ist und die Zusammenarbeit mit der Rechten (nach dem Austritt von Forza Italia bleibt noch die Neue Rechte Mitte von Angelino Alfano) aus der Not geboren wurde, dem Land überhaupt eine Regierung zu geben.

Civati macht keinen Hehl daraus, dass er diese Exekutive für einen Fluch hält, den man so schnell wie möglich beenden muss: Er setzt auf die Zusammenarbeit mit SEL und der Bewegung Fünf Sterne von Beppe Grillo. Der klare Favorit Renzi ist der Meinung, dass eine Regierung, in der die PD die größte Verantwortung trägt, die Themen der Demokraten stärker in den Mittelpunkt stellen muss und erklärte, dass er als möglicher neuer Parteivorsitzender dafür sorgen will. Nur Gianni Cuperlo sieht derzeit keine gangbare Alternative und will an der derzeitigen Situation nicht rütteln.

Das Schicksal Enrico Lettas und der Regierung hängt also an einem seidenen Faden. Der »Neue« wird die Weichen für die kommenden Monate stellen.

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