Zweite Chance für den Schwarzbau

Kommt das E.on-Kohlekraftwerk Datteln IV doch noch?

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Ruhrparlament hat am Freitag ein »Zielabweichunsgverfahren« abgesegnet, demgemäß das Kohlekraftwerk Datteln IV doch noch genehmigt werden könnte - nachträglich.

Seit einiger Zeit bewirbt die Deutsche Bahn AG ihre BahnCards mit einem scheinbar ökologischen Argument: Je mehr Bahnkarten die Kunden ordern, desto mehr Strom aus regenerativen Energien werde die einstige Bundesbahn beziehen. BahnCard-Inhaber reisen laut Reklame »mit 100% Ökostrom«. Visualisiert wird das durch einen grünen Streifen auf dem Plastikkärtchen. Und das Beste: »Die Mehrkosten für den Strom aus erneuerbaren Energiequellen übernimmt die Deutsche Bahn.« Doch jenseits des Plastik-Grünstreifens setzt das Unternehmen weiterhin bevorzugt auf schmutzigen Strom. So wird das E.on-Kraftwerk Datteln IV im Wesentlichen erbaut, um den spezifischen Strombedarf der Bahn zu decken; ein Viertel desselben, um exakt zu sein. 8,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid würde das Kraftwerk pro Jahr ausstoßen, was knapp einem Prozent der deutschen Emissionen des Treibhausgases entspricht.

Nun bekommt das Steinkohle-Kraftwerk, dessen Weiterbau vor vier Jahren gerichtlich gestoppt wurde, eine zweite planungsrechtliche Chance. So beschloss es gestern die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr, im Volksmund auch Ruhrparlament genannt. Die Fraktionen von SPD, CDU und FDP nickten ein so genanntes »Zielabweichungsverfahren« ab, während Grüne und LINKE dagegen votierten.

Eine Milliarde Euro hat E.on bereits verbaut, 80 Prozent des Kraftwerkes stehen längst in der Landschaft - allerdings fünf Kilometer weit entfernt vom genehmigten Standort. Der Energieriese ließ Maurer und Ingenieure direkt am Dortmund-Ems-Kanal werkeln. Durch die Nähe zur Wasserstraße wollte E.on Transportkosten sparen.

Seit gestern ist der Weg frei für eine nunmehr mögliche nachträgliche Genehmigung des »Schwarzbaus« (so die Kritiker) beziehungsweise für das »weltweit modernste Steinkohlekraftwerks« (die Befürworter), das damit wohl doch nicht zur »Milliardenruine« (die Medien) würde. Ein Nein hingegen hätte das endgültige Aus für das Projekt bedeutet.

Die eigentliche Entscheidung war indes zuvor auf Landesebene gefallen - die in NRW notorisch kohlefreundlichen, einige sagen: pyromanischen Sozialdemokraten hatten sich gegen ihren kleineren grünen Koalitionspartner durchgesetzt. Rot-Grün stimmte dem Zielabweichungsverfahren am Freitag zu. »Am Ende werden die Gerichte entscheiden«, setzt der grüne Landeschef Sven Lehmann auf den Beistand der Justiz.

Und in der Tat: Der 180 Meter hohe Turm steht allzu nahe an einem Wohngebiet nebst Kinderklinik. Vor Gericht und hoher See passiert mitunter Unerwartetes. Und schließlich hatte das Oberverwaltungsgericht Münster 2009 erst den Bebauungsplan für ungültig erklärt, dann einen Baustopp verhängt. Wegen der planerischen Fehler und der Klimaschutzziele des Landes. Was die nachträgliche Genehmigung betrifft, konkurrieren die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zweier Gutachter miteinander.

Doch das von Koalitionsräson geprägte Vorgehen von Lehmann und Co. ist innerhalb der öko-bürgerlichen Partei alles andere als unumstritten. Der »Irrsinn«, bekomme eine »neue Chance auf Realisierung«, heißt es in einem Schreiben des grünen Ortsverbandes von Castrop-Rauxel, einer Nachbarstadt Dattelns.

Groß sei »der Unmut über das eigenmächtige Vorgehen der Landesgrünen«, alle grünen Verbände vor Ort würden das Zielabweichungsverfahren für »E.ons CO2-Schleuder«, ablehnen. Weil auch in Lünen und Marl weitere Kohlekraftwerke geplant seien, drohe »hier im nördlichen Ruhrgebiet eine ›Klima-Killer-Zone‹ mit allen negativen Folgen für die Bevölkerung«.

Die Grünen-Vorsitzende im Ruhrparlament, Sabine von der Beck, spricht von einem »planerischen Murks«, den E.on und die frühere schwarz-gelbe Landesregierung zu verantworten hätten. Nun sollte der von E.on gewählte Kraftwerksstandort nachträglich als solcher ausgewiesen werden. Dafür sieht die Politikerin »in der Sache keine einzige Begründung«, die juristisch sauber sei. Daher lehnten die Grünen das Zielabweichungsverfahren ab.

»Die ›Arroganz der Macht‹, mit der E.on seit Jahren die Legalisierung des ›Schwarzbaus‹ Datteln IV betreibt, hat sich vorerst durchgesetzt«, erklärte der Vorsitzende der LINKEN im Ruhrparlament, Wolfgang Freye. »Man muss nur groß und reich sein und genug Geld haben, um trotz gegenteiliger Urteile immer weiter zu bauen, um sich durchzusetzen. Das ist der Eindruck, den viele von der Entscheidung haben.«

E.on will den Kraftwerksblock, der eigentlich schon 2011 ans Netz sollte, »schnellstmöglich« in Betrieb nehmen. Mit schwarzer Kohle schwarze Zahlen schreiben, so lautet das Ziel des von der Energiewende gebeutelten Konzerns. Doch das wird frühestens in drei Jahren der Fall sein - falls weiterhin alles glatt läuft für E.on. Das Prozedere bleibt kompliziert, mit neuen Klagen wird gerechnet.

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