Raus aus der Provinz
Folge 22 der nd-Serie Ostkurve: Mit Hilfe eines belgischen Investors hofft der viertklassige FC Carl Zeiss Jena wieder auf bessere Zeiten
Die Herzen der Anhänger des FC Carl Zeiss Jena schlagen in diesen Tagen schneller. Sportlich besteht dazu eigentlich kein Grund. Die Mannschaft trainierte zwar noch in dieser Woche, aber die Regionalliga Nordost macht bereits seit dem vergangenen Sonntag Winterpause. Trotz eines versöhnlichen 3:1-Erfolgs gegen Tabellenführer TSG Neustrelitz liegen die Jenaer punktgleich mit dem 1. FC Magdeburg aber immer noch sieben Zähler hinter Neustrelitz. Der Staffelsieg und das damit verbundene Erreichen der Relegationspartien um den Aufstieg in die 3. Liga sind mehr als fraglich.
Der neue Trainer Andreas Zimmermann konnte zwar eine Aufbruchsstimmung erzeugen, indem er mit zehn Siegen und drei Remis ungeschlagen blieb. Doch die Hypothek von Vorgänger Petrik Sander und die Konstanz der Neustrelitzer waren einfach zu groß. Die Vertragsverlängerung des gebürtigen Berliners, der im September 2013 nur bis zum Sommer 2014 unterschrieben hatte, scheint reine Formsache zu sein. Zimmermann aber ist Realist. Dass der selbst ernannte Aufstiegsfavorit sein Ziel doch noch erreicht, will er nicht beschreien. »Wir müssen unsere Punkte sammeln. Und wenn wir das machen, kommen wir dem großen Ziel ein Stück näher. Vom Aufstieg will ich nicht reden«, sagt der 43-Jährige.
Früher oder später will der Europapokalfinalist von 1981, der 2008 aus der 2. Bundesliga abgestiegen war und 2012 gar zum zweiten Mal in seiner Vereinsgeschichte in die Viertklassigkeit abstürzte, wieder höherklassig spielen. Da kommt ein betuchter Investor aus Belgien gerade recht, über dessen Einstieg die Mitglieder des FC Carl Zeiss am Sonntag ab 14 Uhr in der Mensa des Studentenwerkes Thüringen auf dem Gelände der Carl Zeiss Jena GmbH entscheiden sollen.
Die avisierten belgischen Pralinen verbreiten einen verlockenden Duft, bevor sie überhaupt ausgepackt worden sind. Zumindest ist die Vereinsführung schon restlos vom belgischen Unternehmer Roland Duchatelet überzeugt. Der 67-Jährige, der angeblich über ein Privatvermögen rund 500 Millionen Euro verfügt, soll Fußball-Jena von den derzeitigen Reisen durch die ostdeutsche Fußballprovinz erlösen. »Aus meiner Sicht ist der Einstieg des Investors aus wirtschaftlichen und sportlichen Gründen alternativlos. Gute Nachwuchsarbeit und sportliche Ambitionen müssen auch finanziell zu stemmen sein. Alles andere ist Augenwischerei. Der Weg, den wir gehen, soll in keinem Falle verlassen werden, wir wollen ihn nur noch konsequenter gehen«, sagte Klubpräsident Rainer Zipfel im Rahmen eines virtuellen Fantalks im Fanforum des Vereins.
Die Klubführung ist beim Rühren der Werbetrommel um Transparenz bemüht. Schließlich sollen die rund 3500 Mitglieder überzeugt werden, auch wenn am Sonntag schon das positive Votum von zwei Dritteln der Anwesenden dem finanziell klammen Verein Millionen bescheren würde. Am Mittwoch traf sich Zipfel mit Vertretern des Jenaer Fanprojekts, der Jenaer Ultras, des Supporters Clubs und der Bürgerinitiative »Unser Stadion« Jena. Am Donnerstag wurde für Thüringer Medienvertreter ein Interviewtermin mit Duchatelet in Lüttich arrangiert.
Der Belgier, der schon bei Standard Lüttich, beim belgischen Zweiligisten St. Truiden und beim ungarischen Erstligisten Újpest Budapest Millionen investierte, hat zwar noch keinen großen Bezug zu Jena, aber in Erfurt ist er seit über 20 Jahren bei der Firma X-Fab aktiv. Über 1000 Mitarbeiter sind in Thüringen mit der Produktion von Computerchips beschäftigt. Sein Geschäftsführer Chris Förster, Jena-Fan und inzwischen zum zweiten (ehrenamtlichen) Geschäftsführer des Vereins ernannt, stellte den Kontakt zu Zipfel her. Der Klubpräsident wollte sich angesichts der Jenaer Planungen für ein neues Fußballstadion eigentlich nur die Arena von St. Truiden ansehen, wo Duchatelet gerade für 35 Millionen Euro ein neues Stadion bauen lässt. Daraus wurde mehr.
Für zwei Millionen Euro will Duchatelet 49 Prozent der Geschäftsanteile der letztmals nach dem Einzug ins DFB-Pokal-Halbfinale 2008 Gewinn abwerfenden FC Carl Zeiss Jena Fußball-Spielbetriebs GmbH erwerben. In den nächsten vier Jahren sollen mindestens weitere vier Millionen an den Verein fließen. Fragen auf der Suche nach dem Haken wehrt Duchatelet ab. »Ich weiß, dass man die nächsten Jahre keinen Gewinn erwirtschaften wird. Das ist nicht mein Ziel. Mir ist wichtig, dass sich etwas über einen längeren Zeitraum entwickelt«, sagte der Belgier. »Ich will in die zweite Liga. Aber das geht nicht von heute auf morgen.« Denkbar sei auch eine Ausleihe von Spielern, die beispielsweise bei Standard Lüttich auf der Bank sitzen.
Der FC Carl Zeiss hat vorgesorgt und im Gegensatz zur Saison 2007/08, als der Einstieg eines russischen Investors von den Verbänden abgeschmettert wurde, die Genehmigungen von DFB, DFL und NOFV vorab eingeholt. Nun liegt es an den Mitgliedern. Klubsprecher Andreas Trautmann rechnet mit rund 500 am Sonntag bei der Versammlung. Bis Mitte der Woche hätten 350 Anmeldungen vorgelegen. Jena-Fan Torsten Scherer aus Zeulenroda, der den Klub seit Jahrzehnten zu fast allen Spielen begleitet und zu den Kleinsponsoren gehört, ist für den Einstieg des Investors. »Es dürfte eine knappe Mehrheit geben«, sagt er. Auch er will in Zukunft nicht nur noch nach Auerbach oder Neustrelitz fahren müssen.
In fünf bis sieben Jahren sollen mit Hilfe Duchatelets wieder Zweitligastandorte angesteuert werden. Jenas Fanprojektchef Matthias Stein rechnet ebenfalls mit einer knappen Entscheidung. Möglichweise würden aber eher Kritiker auf der Versammlung erscheinen, als jene die dafür sind. Großen Spielraum hat der FC Carl Zeiss aber eigentlich nicht. Das Stadion ist derzeit ohne Flutlicht nicht drittligatauglich. Geld für Neuzugänge ist unter normalen Bedingungen nicht vorhanden. Und schlimmer als jetzt kann es für einen Verein mit solch großer Tradition kaum noch werden.
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